In der gesetzlichen Unfallversicherung bedarf es zur Gewährung von (Renten-) Leistungen regelmäßig eines medizinischen Gutachtens, weil die Anspruchsvoraussetzungen in typischer Weise auf bestimmte gesundheitliche Einschränkungen abstellen. Gutachten bilden eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung über Leistungen nach Arbeitsunfällen. Die UV-Träger haben den Sachverhalt, der zur Feststellung notwendig ist, von Amts wegen zu ermitteln (§ 20 Abs. 1 SGB X). Gutachter sind dabei unabhängige ärztliche Sachverständige, welche die UV-Träger bei der (medizinischen) Beweiserhebung durch ihre Sachkunde (§ 21 Abs.1 SGB X) unterstützen.
Im Gegensatz zu anderen Sozialversicherungsträgern beschäftigen die UV-Träger keine eigenen (angestellten) Gutachter, sondern beauftragen unabhängige, externe medizinische Sachverständige im Rahmen eines Gutachtenvertrages nach zivilrechtlichen Grundsätzen. Gutachterinnen und Gutachter sind unparteilich und unabhängig, d. h. nur der medizinisch-wissenschaftlichen Objektivität und Neutralität und den anzuwendenden Rechtsvorschriften verpflichtet. Sie müssen über eingehende Kenntnisse auf ihrem Fachgebiet verfügen und mit den rechtlichen Grundlagen der gesetzlichen Unfallversicherung vertraut sein. Bei der persönlichen Gutachtenerstellung sind zudem die allgemeinen Sachverständigenpflichten zu beachten (vgl. AWMF-Leitlinie "Allgemeine Grundlagen der medizinischen Begutachtung" und DGUV-Broschüre "Grundlagen der Begutachtung von Arbeitsunfällen - Erläuterungen für Sachverständige".
In der gesetzlichen Unfallversicherung müssen den Versicherten mehrere (in der Praxis regelmäßig drei) geeignete Gutachter/innen zur Auswahl vorschlagen werden (vgl. § 200 Abs. 2 SGB VII). Diese Regelung dient als vertrauensbildende Maßnahme der Transparenz und stärkt die Mitwirkungsrechte der Versicherten. Die UV-Träger haben aus den oben genannten Gründen den Versicherten über die Gesetzeslage hinaus freiwillig ein Vorschlagsrecht eingeräumt. Werden von den Versicherten Gutachter/innen vorgeschlagen, sollen diese nur aus wichtigen Gründen abgelehnt werden (z. B. keine fachliche Eignung oder keine ortsnahe bzw. fristgerechte Gutachtenerstellung möglich).
In aller Regel erfolgt das Gutachten nach persönlicher Untersuchung durch den Sachverständigen, nur in Ausnahmefällen allein auf Grundlage der Akten (nach Aktenlage). Bei einem Erstgutachten ist dies aber nie der Fall. Die Untersuchung soll dabei in sachlicher Atmosphäre und in geeigneter Umgebung stattfinden. Versicherte sollen somit die Möglichkeit haben, ihre Beschwerden persönlich gegenüber dem Gutachter zu schildern, damit diese ins Gutachten aufgenommen und entsprechend berücksichtigt bzw. bewertet werden können. Auf Wunsch können Versicherte grds. auch eine Begleitperson mitbringen, wodurch die gutachtliche Untersuchung aber nicht gestört werden darf, und bei Sprachproblemen können Dolmetscher hinzugezogen werden.
Versicherten und deren Bevollmächtigen steht im Rahmen des Verwaltungsverfahren gem. § 25 Abs. 1 SGB X ein uneingeschränktes Einsichtsrecht in die Akte des UV-Trägers zu und damit auch in das Gutachten.
Das medizinische Gutachten ist ein wichtiges Beweismittel, welches bei der Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung durch den UV-Träger zu berücksichtigen ist. Die rechtliche Verantwortung für die zu treffende Entscheidung tragen jedoch allein die UV-Träger. Die Entscheidung des UV-Trägers kann anschließend durch Rechtsmittel vor den Sozialgerichten angefochten und überprüft werden. Der UV-Träger ist deshalb gehalten, das Gutachten auf Vollständigkeit, Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit zu prüfen und falls notwendig, beim Sachverständigen zurückzufragen und ggf. eine Nachbesserung zu verlangen.
Bei der Zusammenhangsbegutachtung (Kausalitätsgutachten) geht es um die Frage, ob ein Gesundheitsschaden rechtlich wesentliche Ursache eines konkreten Unfallereignisses ist, oder ob andere, unfallunabhängige Umstände (z.B. Vorschädigungen) überwiegend verantwortlich sind. Oftmals ist dies in der Praxis unproblematisch, sodass nur in relativ wenigen Fällen Zusammenhangsgutachten erforderlich sind. Insbesondere bei komplexen Verletzungen und Erkrankungen der Gelenke oder des Muskel-Sehnensystems sind regelmäßig Abgrenzungen zu degenerativen Vorschäden notwendig, die nur durch eine umfassende gutachterliche Untersuchung geklärt werden können.
Bei den Rentengutachten ist der Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden bereits geklärt und es geht vor allem darum, festzustellen, welche Funktionseinschränkungen aufgrund des unfallbedingten Gesundheitsschaden bestehen. Dies ist wichtig, um den Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und damit die Höhe eines Rentenanspruchs beurteilen zu können.
Nicht immer sind Heilbehandlung und Reha-Maßnahmen so erfolgreich, dass die Versicherten wieder uneingeschränkt am Erwerbsleben teilnehmen können. Wenn unfallbedingte Gesundheitsschäden eine MdE von mindestens 20 Prozent über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus verursachen, zahlen die UV-Träger nach Wegfall des Verletztengeldes eine Unfallrente (§§ 62 Abs.1 und Abs. 2 SGB VII). Die Höhe der Rente richtet sich zum einen nach dem Grad der MdE und zum anderen nach dem Jahresarbeitsverdienst, d.h. den Einkünften des Betroffenen in den letzten zwölf Monaten vor dem Versicherungsfall (§ 82 Abs. 1 SGB VII).
Anders als im zivilrechtlichen (privaten) Schadensersatzrecht, bedarf es bei der Festsetzung der Unfallrente keines konkret nachweisbaren wirtschaftlichen Schadens. Die Unfallrente stellt vielmehr einen pauschalisierten abstrakten Schadensausgleich dar. Die MdE bemisst sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Hierbei handelt es sich immer um eine abstrakte Schätzung, d. h. bei gleichen Unfallfolgen ist unabhängig von deren Auswirkungen auf die konkrete Berufstätigkeit vor dem Arbeitsunfall, die gleiche MdE gleich hoch einzuschätzen. Für die Bemessung der MdE haben sich daher für viele Verletzungsarten seit langem Erfahrungswerte gebildet, die von der Rechtsprechung übernommen wurden und in der einschlägigen Gutachtenliteratur für die gesetzliche Unfallversicherung Eingang gefunden haben. An diesen MdE-Erfahrungswerten haben sich Gutachter/innen aus Gleichbehandlungsgründen zu orientieren.
Die Qualität eines Gutachtens und somit dessen Verwertbarkeit für die Entscheidung des UV-Trägers hängt neben der richtigen Fragestellung maßgeblich von der Qualifikation der medizinischen Sachverständigen ab. Für Gutachtenaufträge der gesetzlichen Unfallversicherung zur Renten- und Zusammenhangsbegutachtung wurden deshalb Mustervorlagen für zentrale Gutachtenfragen von Verwaltungsexperten, Juristen und besonders erfahrenen ärztlichen Sachverständigen gemeinsam erarbeitet. Die der Begutachtung jeweils zugrundeliegenden Fragestellungen müssen sich dem stetig wandelnden medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritt sowie den aktuellen Anforderungen der Rechtsprechung der Sozialgerichte anpassen. Eine regelmäßige Fortbildung ist deshalb für Sachverständige besonders wichtig. In den zentralen Fachbereichen, vor allem auf dem Gebiet der Unfallchirurgie/Orthopädie, hat die DGUV in Abstimmung mit den medizinischen Fachgesellschaften Qualitätsanforderungen an Gutachter aufgestellt. Neben entsprechenden fachlich-persönlichen Anforderungen ist auch die regelmäßige Teilnahme an anerkannten Fortbildungen ein wichtiges Aufnahmekriterium in die Gutachterverzeichnisse der gesetzlichen Unfallversicherung. Darüber hinaus erhalten Gutachter z. B. bei der erstmaligen Rentenbegutachtung konkrete Rückmeldungen vom UV-Träger über die Qualität und die Verwertbarkeit des Gutachtens.