Eine Studie des IPA zeigte, dass im ersten Jahr der SARS-CoV-2-Pandemie Beschäftigte verschiedener Branchen außerhalb des Gesundheitssektors einer erhöhten psychischen Belastung ausgesetzt waren. Dies galt insbesondere für Berufe mit erhöhtem beruflichem Infektionsrisiko. Das IPA befragte dieselben Beschäftigten 22 Monate nach der ersten Erhebung noch einmal. So sollten die langfristigen Folgen der Pandemie auf psychische Belastungen erfasst werden.
Basiserhebung zu SARS-CoV-2-Belastungen
Die Arbeitsschutzmaßnahmen während der Pandemie zielten insbesondere auf die Reduzierung der Kontakte ab und führten teilweise zu Isolation, Einsamkeit und psychischem Leid (Andel et al. 2021). Zusätzlich wirkten sie sich auf das berufsbedingte Infektionsrisiko, unsichere wirtschaftliche Verhältnisse, Arbeitslosigkeit und auf die Psyche aus. Studien in der deutschen Allgemeinbevölkerung und unter Beschäftigten aus verschiedenen Berufsgruppen zeigten eine Zunahme von Depressions- und Angstsymptomen (Dragano et al. 2022). Neben den am stärksten betroffenen Beschäftigten im Gesundheitsdienst wurden negative Auswirkungen bei pädagogischen Fachkräften, Fachkräften der Sozialen Arbeit oder Beschäftigten im Einzelhandel und im Finanzsektor festgestellt (Rhodes et al. 2022).
Die Basiserhebung der IPA-Studie unter 1.545 Beschäftigten aus verschiedenen Berufen außerhalb des Gesundheitssektors bestätigte eine Zunahme der psychischen Beanspruchung. Zwischen Dezember 2020 und Juni 2021 wurden die Befragten mit Hilfe der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie, der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik und der Unfallkasse Hessen rekrutiert. Die ersten Auswertungen der Umfrage zeigten einen Zusammenhang zwischen der psychischen Belastung und dem beruflichen SARS-CoV-2-Infektionsrisiko (Casjens et al. 2022).
Folgebefragung im Pandemieverlauf
Die Folgebefragung der Beschäftigten aus den Branchen Industrie, Öffentlicher Dienst und Personennahverkehr, Finanzwesen sowie Einzelhandel sollte die Langzeitauswirkungen der Pandemie auf ihre psychische Belastung untersuchen. Im November 2022 wurden hierzu 563 Personen, die in der Basiserhebung einer erneuten Befragung zugestimmt hatten, von der Treuhandstelle der Studie per E-Mail eingeladen. Diese Online-Umfrage wurde wieder in Kooperation mit dem Institut für Arbeit und Gesundheit der GUV (IAG) durchgeführt.
Bis Januar 2023 nahmen 260 Personen teil, deren Daten statistisch auswertbar waren. In der ersten Befragung wurden die psychische Belastung und berufliche Risikofaktoren zum Zeitpunkt der ersten Welle (t-1, retrospektiv) und zwischen dem Höhepunkt der zweiten Welle und dem Ende der dritten Welle (t-2) erfasst. Die Folgebefragung umfasste die Erhebung der 5. Welle (t-3, retrospektiv) und die Erhebung Ende 2022 (t-4). Abbildung 1 zeigt die Befragungszeiträume sowie die 7-tägigen SARS-CoV-2-Inzidenzen und Pandemiewellen in Deutschland.
Merkmale der beruflichen Belastung
Zu Pandemiebeginn gaben 89% der Teilnehmenden reduzierte Kontakte am Arbeitsplatz an. Gegen Ende der Pandemie waren es nur noch 63%. Der Anteil der Personen, die unter einem mangelnden Austausch am Arbeitsplatz litten, sank ebenfalls. Auch berichteten die Teilnehmenden im Pandemieverlauf zunehmend seltener über Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben. Dagegen blieb mit 60 Prozent die Häufigkeit von chronisch arbeitsbedingtem Stress unverändert. Nachdem sich die Mehrheit der Beschäftigten zu t-1 (73%), t-2 (76%) und t-3 (82%) durch die Maßnahmen an ihrem Arbeitsplatz ausreichend vor einer SARS-CoV-2-Infektion geschützt fühlte, sank dieser Anteil zum Ende der Pandemie (t-4) auf 65%. Insbesondere Beschäftigte mit hohem berufsbedingtem Infektionsrisiko fühlten sich nicht angemessen an ihrem Arbeitsplatz geschützt (t-4 59%).
Bei 42 Teilnehmenden (16%) wurde bereits vor der Pandemie eine Angststörung oder Depression diagnostiziert (AD-Diagnose). Diese Personen waren häufiger weiblich (71%) und hatten ein hohes Maß an Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben (t-4 26%). Außerdem fühlten sie sich seltener bei der Arbeit geschützt (t-4 43%), litten häufiger unter chronischem arbeitsbedingtem Stress (t-4 79%) und zeigten ein überdurchschnittliches Maß an beruflichem Engagement.
Während in der ersten Hälfte der Pandemie die psychische Belastung der Beschäftigten insgesamt zunahm, reduzierte sich diese im weiteren Verlauf (s. Abb. 2). Beschäftigte mit hohem oder potenziell erhöhtem beruflichem Infektionsrisiko und Personen mit AD-Diagnose wiesen zu allen Befragungszeitpunkten höhere Belastungen auf.
Die Analysen zeigten tendenziell erhöhte Risiken für stärker ausgeprägte Depressions- und Angstsymptome bei Beschäftigten mit hohen oder potenziell erhöhten beruflichen Infektionsrisiken im Vergleich zu Personen ohne besonders erhöhtes berufliches Infektionsrisiko. Ein geringes Maß an Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzte und eine möglicherweise damit verbundene Einsamkeit war mit schwereren Symptomen verbunden. Fortbestehende Risikofaktoren für eine höhere Symptomschwere waren Work-Privacy-Konflikte, ein als unzureichend wahrgenommener SARS-CoV-2-Schutz am Arbeitsplatz und ein überdurchschnittlich hohes Engagement bei der Arbeit. Als stärkster Risikofaktor erwies sich eine AD-Diagnose vor der Pandemie. Eine umfassende Darstellung der Studienergebnisse wurde vor kurzem international veröffentlicht (Casjens et al. 2024).
Handlungsempfehlungen
Arbeitsbedingte psychosoziale Risiken spielten eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden der befragten Beschäftigten. In der Folgebefragung wurde eine geringere psychische Belastung als in der Basiserhebung ermittelt. Dies legt nahe, dass die Auswirkungen der Pandemie auf Angst- und Depressionssymptome vorübergehend waren. Dennoch bleiben einige modifizierbare Faktoren relevant: Um die psychische Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen, sollten Unternehmen weiterhin die soziale Interaktion zwischen den Beschäftigten stärken. Bei Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben sowie bei bekannter Diagnose einer Angststörung oder Depression sollte Unterstützung angeboten werden.
Dieser Beitrag erscheint in ähnlicher Form im IPA Journal 02/2024.
Die SARS-CoV-2-Pandemie führte zu einem kurzfristigen Anstieg der psychischen Beanspruchung.
Modifizierbare Risikofaktoren zur Prävention psychischer Belastungen bei Beschäftigten bestehen weiterhin auch nach der Pandemie.
Die Resilienz der Beschäftigten könnte durch die Minimierung von Einsamkeit am Arbeitsplatz und durch eine gezielte Unterstützung zum Beispiel bei Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben, bei Angststörungen oder Depressionen, gestärkt werden.
Andel SA, Shen W, Arvan ML. Depending on your own kindness: The moderating role of self-compassion on the within-person consequences of work loneliness during the COVID-19 pandemic. J Occup Health Psychol 2021; 26:276–290. doi: 10.1037/ocp0000271
Casjens S, Taeger D, Brüning T, Behrens T. Changes in mental distress among employees during the three years of the COVID-19 pandemic in Germany. PlosOne 2024; 19: e0302020 doi: 10.1371/journal.pone.0302020
Casjens S, Taeger D, Brüning T, Behrens T. Altered mental distress among employees from different occupational groups and industries during the COVID-19 pandemic in Germany. J Occup Environ Med 2022; 64:874–880. doi: 10.1097/JOM.0000000000002595
Dragano N, Reuter M, Peters A, Engels M, Schmidt B, Greiser KH et al. Increase in mental disorders during the COVID-19 pandemic.The role of occupational and financial strains. Dtsch Arztebl Int 2022; 119:179–187. doi: 10.3238/arztebl.m2022.0133
Kroenke K, Spitzer RL, Williams JBW, Löwe B. An ultra-brief screening scale for anxiety and depression: the PHQ-4. Psychosomatics 2009; 50:613–621. doi:10.1176/appi. psy.50.6.613 Rhodes S, Wilkinson J, Pearce N, Mueller W, Cherrie M,
Stocking K, Gittins M, Katikireddi SV, van Tongeren Martie. Occupational differences in SARS-CoV-2 infection: analysis of the UK ONS COVID-19 infection survey. J Epidemiol Community Health 2022; 76:841–846. doi: 10.1136/jech-2022-219101