Regulatorik

Einstufung, Kennzeichnung und Identifikation endokriner Disruptoren

Foto: Flaggen der Europäischen Union vor dem EU-Parlament

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Die CLP-Verordnung regelt die Einstufung und Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen und Gemischen in der EU. Nach den in der CLP-Verordnung vorgegebenen Kriterien müssen alle chemischen Stoffe und Gemische, die in der EU in Verkehr gebracht werden, entsprechend ihren gefährlichen Eigenschaften (physikalischen Gefahren, Gesundheitsgefahren, Umweltgefahren) in Gefahrenklassen und Gefahrenkategorien eingestuft werden.

Seit April 2023 enthält die Verordnung neue zu kennzeichnende Gefahrenklassen. Zu diesen gehören endokrine Disruptoren (ED), die für die Gesundheit des Menschen (ED HH: Human Health) und Organismen in der Umwelt (ED ENV: Environment) schädlich sind.

Mit Einstufung einer Substanz als endokriner Disruptor müssen die ermittelten Gefahren anderen Beteiligten der Lieferkette einschließlich den Verbraucherinnen und Verbrauchern mitgeteilt werden. Mit der Gefahrenkennzeichnung in Form von Kennzeichnungsetiketten und der entsprechenden Angabe im Abschnitt 2 der Sicherheitsdatenblätter wird Anwendenden eines Stoffes oder Gemisches die Gefahreneinstufung mitgeteilt und macht auf die Gefahr und die Notwendigkeit aufmerksam, den damit verbundenen Risiken entgegenzuwirken.

Die neuen ED-Gefahrenklassen und Übergangsfristen

Während die bisher in der CLP-Verordnung festgelegten Gefahrenklassen die konkreten Gesundheitsgefahren (z.B. Toxizität gegenüber spezifischen Zielorganen, Reproduktionstoxizität, Kanzerogenität) definieren, beschreibt die neue gefahrstoffrechtliche Einstufung "Endokrine Disruptoren" den toxikologischen Wirkmechanismus. Dementsprechend sind auch Doppeleinstufungen möglich, zum Beispiel können Stoffe, die aufgrund ihres Wirkmechanismus als ED eingestuft worden sind, ebenfalls reproduktionstoxisch oder krebserregend sein.

Seit dem Inkrafttreten der Delegierten Verordnung (EU) 2024/197 zur Änderung von Anhang VI der CLP-Verordnung am 20.4.2023 gelten Übergangsfristen. Werden neue Stoffe von Unternehmen in Verkehr gebracht, müssen diese ab dem 1. Mai 2025 den neuen Gefahrenklassen entsprechend eingestuft und gekennzeichnet werden. Für Stoffe, die bereits in Verkehr gebracht wurden, gilt eine Frist bis zum 1. November 2026.

Für Gemische gelten eigene Übergangszeiten. Für neu gekennzeichnete und verpackte Gemische gelten die Regeln ab dem 1. Mai 2026. Für bestehende Gemische müssen die Aktualisierungen erst ab dem 1. Mai 2028 vorgenommen werden.

Spätestens nach Ablauf der Übergangsfristen muss angegeben werden, ob der Stoff in eine der neuen Gefahrenklassen eingestuft wurde (Sicherheitsdatenblatt und Gefahrstoffetikett).

Hersteller und Importeure müssen alle chemischen Stoffe oder Stoffgemische, die in Mengen von einer Tonne oder mehr pro Jahr hergestellt oder eingeführt werden, bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) registrieren. Teil dieses Verfahrens ist die Erstellung eines Registrierungsdossiers unter Verwendung der Software-Anwendung IUCLID (International Uniform ChemicaL Information Database). Ende April 2024 wurden die neuen Gefahrenklassen in IUCLID aufgenommen, sodass eine Erstellung entsprechender Registrierungsdossiers möglich ist.

Im global harmonisierten System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (GHS) der Vereinten Nationen sind diese Gefahrenklassen noch nicht aufgenommen worden. Sie gelten daher bisher nur im Geltungsbereich der CLP-Verordnung.

1. Einstufung

Hinsichtlich der Einstufung in Gefahrenklassen wird zwischen endokrinen Disruptoren, die die menschliche Gesundheit schädigen (ED HH), und endokrinen Disruptoren, die Umweltorganismen schädigen (ED ENV), unterschieden.
Bei beiden Gefahrenklassen wird jeweils zwischen zwei Kategorien differenziert. Während in die ED Kategorie 1 "bekannte und wahrscheinliche endokrine Disruptoren" ("known and presumed ED") eingestuft werden, werden "vermutete endokrine Disruptoren" ("suspected ED") der ED Kategorie 2 zugeordnet.


  • Kategorien

    Tabelle: ED HH - Definition der Kategorien ("Gefahrenkategorien für endokrine Disruptoren mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit", Tabelle 3.11.1, aus der Delegierten Verordnung (EU) 2024/197 zur Änderung von Anhang VI der CLP-Verordnung

    Kategorie Kriterien
    Kategorie 1 Bekannte oder vermeintliche endokrine Disruptoren mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit.

    Die Einstufung in Kategorie 1 basiert weitgehend auf Nachweisen, die mindestens einer der folgenden Kategorien zuzuordnen sind:

    a) am Menschen gewonnene Daten;
    b) am Tier gewonnene Daten;
    c) nicht am Tier gewonnene Daten, deren Prognosekapazität den Daten gemäß den Buchstaben a und b entspricht.
    Durch diese Daten wird nachgewiesen, dass der Stoff alle folgenden Kriterien erfüllt:
    a) endokrine Aktivität;
    b) schädliche Wirkung in einem intakten Organismus oder seinen Nachkommen oder künftigen Generationen;
    c) biologisch plausibler Zusammenhang zwischen der endokrinen Aktivität und der schädlichen Wirkung.

    Liegen jedoch Informationen vor, die die Relevanz der schädlichen Wirkung beim Menschen ernsthaft infrage stellen, kann die Einstufung in Kategorie 2 angemessener sein
    Kategorie 2 Stoffe, die in dem Verdacht stehen, endokrine Disruptoren mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit zu sein.

    Ein Stoff wird in Kategorie 2 eingestuft, wenn alle folgenden Kriterien erfüllt sind:

    a) es gibt Nachweise für
    i) eine endokrine Aktivität; und
    ii) eine schädliche Wirkung in einem intakten Organismus oder seinen Nachkommen oder künftigen Generationen;
    b) die Nachweise nach Buchstabe a sind nicht überzeugend genug, um eine Einstufung in Kategorie 1 zu rechtfertigen;
    c) es gibt Nachweise für einen biologisch plausiblen Zusammenhang zwischen der endokrinen Aktivität und der schädlichen Wirkung.
    Wurde jedoch schlüssig nachgewiesen, dass die schädliche Wirkung beim Menschen nicht zum Tragen kommt, gilt der Stoff nicht als ED mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit.
    Die Kriterien gelten analog auch für ED ENV.

    Beide Kategorien orientieren sich an den wissenschaftlich etablierten Kriterien der ⁠WHO ⁠/ IPCS-Definition zur Identifizierung von ED (d.h. negative Effekte im intakten Organismus, endokrine Aktivität, sowie ein biologisch plausibler Zusammenhang zwischen der endokrinen Aktivität und dem negativen Effekt).

  • Einstufungsansatz

    Die Einstufung erfolgt anhand einer Ermittlung der Beweiskraft der vorliegenden Daten ("Weight-of-Evidence"-Ansatz). Als Datenquellen dienen u.a. In-vivo-, In-vitro- und In-silico-Studienergebnisse, um die Aktivität, den biologisch plausiblen Zusammenhang und schädliche Wirkungen zu ermitteln. Auch Daten zu analogen Stoffen (Struktur-Wirkungs-Beziehungen) werden ausgewertet und die Bewertungen chemisch verwandter Stoffe und alle zusätzlichen relevanten und anerkannten wissenschaftlichen Daten berücksichtigt. Für die Einstufung werden bereits erhobene Daten (z. B. aus der Stoff- oder Dossierbewertung im Rahmen von REACH oder aus einem anderen Wirkstoff-Genehmigungsverfahren) verwendet.

    Wenn schädliche Effekte ausschließlich unspezifische Folge anderer toxischer Wirkungen sind, sollen diese nicht für die ED-Einstufung berücksichtigt werden. Grundsätzlich können schädliche Wirkungen, die für die ED-Einstufung herangezogen werden, auch schon für sich genommen in einer anderen Gefahrenklasse einstufungsrelevant sein. Dementsprechend sind auch Doppeleinstufungen möglich (z. B. fortpflanzungsschädliche Effekte mit endokrinem Wirkmechanismus sowohl als ED HH als auch Repr (Reproduktionstoxizität)).

    Für ED ENV werden die Kriterien und Rückausnahme in analoger Weise formuliert.

2. Kennzeichnung

Da die neuen Einstufungen vorerst auf die EU beschränkt sind, findet man sie nicht im UN GHS. Deswegen bekommen sie keine H-Sätze, sondern EUH-Sätze, die nur in der EU gelten.

Für Gemische gilt folgende Regelung:
Wenn ein Gemisch mindestens einen Bestandteil enthält, der als endokriner Disruptor mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit der Kategorie 1 oder der Kategorie 2 eingestuft worden ist und seine Konzentration den entsprechenden allgemeinen Konzentrationsgrenzwert für die Kategorie 1 oder die Kategorie 2 erreicht oder übersteigt, wird es als endokriner Disruptor mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit eingestuft. Enthält das Gemisch als Bestandteil einen endokrinen Disruptor mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit der Kategorie 2 in einer Konzentration ≥ 0,1 %, so wird auf Anforderung ein Sicherheitsdatenblatt für das Gemisch vorgelegt.

  • Kennzeichnungselemente

    Tabelle: Kennzeichnungselemente für endokrine Disruptoren mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt sowie allgemeine Konzentrationsgrenzwerte, die zu einer Einstufung eines Gemisches führen

    Einstufung Kategorie 1 Kategorie 2
    GHS-Piktogramm -* -*
    Signalwort Gefahr Achtung
    Gefahrenhinweis für ED HH EUH380: Kann beim Menschen endokrine Störungen verursachen EUH381: Steht in dem Verdacht, beim Menschen endokrine Störungen zu verursachen
    Gefahrenhinweis für ED ENV EUH430: Kann endokrine Störungen in der Umwelt verursachen EUH431: Steht in dem Verdacht, endokrine Störungen in der Umwelt zu verursachen
    Allgemeine Konzentrationswerte, die zur Einstufung eines Gemisches führen ≥ 0.1 % ≥ 1 %
    Sicherheitshinweise - Prävention P201: Vor Gebrauch besondere Anweisungen einholen
    P202: Vor Gebrauch alle Sicherheitshinweise lesen und verstehen.
    P263: Berührung während Schwangerschaft und Stillzeit vermeiden.
    P280: Schutzhandschuhe / Schutzkleidung / Augenschutz / Gesichtsschutz tragen.
    Sicherheitshinweise - Reaktion P308+P313: Bei Exposition oder falls betroffen: Ärztlichen Rat einholen / ärztliche Hilfe hinzuziehen.
    Sicherheitshinweise - Lagerung P405: Unter Verschluss aufbewahren.
    Sicherheitshinweise - Entsorgung P501: Inhalt / Behälter…zuführen.
    *Zunächst wird es keine neuen Piktogramme für diese Gefahrenklassen geben.
    Hinweise: Die Konzentrationsgrenzwerte der vorstehenden Tabelle gelten für Feststoffe und Flüssigkeiten (in w/w) sowie für Gase (in v/v). Enthält das Gemisch als Bestandteil einen endokrinen Disruptor mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit der Kategorie 2 oder einen endokrinen Disruptor mit Wirkung auf Organismen in der Umwelt der Kategorie 2 in einer Konzentration ≥ 0,1 %, so wird auf Anforderung ein Sicherheitsdatenblatt für das Gemisch vorgelegt.
    Für ED ENV gilt statt P263 und P280 der P-Satz 273 "Freisetzung in die Umwelt vermeiden" und für die Reaktion P391 "Verschüttete Mengen aufnehmen".

3. Weitere Aspekte zur Regulierung

Mit der Einführung der neuen ED-Gefahrenklassen ist die CLP-Verordnung nun ein zentrales Instrument, um den Status eines Stoffes oder Gemisches als endokriner Disruptor festzulegen. Die ED-Beurteilung erfolgt zukünftig im Verfahren zur harmonisierten Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen (CLH-Verfahren) durch den Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) der ECHA. Im Ergebnis steht eine rechtsverbindliche Einstufung im Anhang VI der CLP-Verordnung durch eine sogenannte ATP, eine Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt mithilfe einer EU-Verordnung.
Verwendung und Einsatz von ED werden bisher in der EU im Zulassungsverfahren sektorspezifisch über das jeweilige EU-Recht geregelt.
So werden in den Rechtsvorschriften für Pflanzenschutzmittel und Biozidprodukte sowie generell für Chemikalien im Rahmen der REACH-Verordnung, der Verordnung für Kosmetikprodukte, der Regulation für Medizinprodukte und der Wasserrahmenrichtlinie spezifische Maßnahmen und Möglichkeiten zur Identifizierung, zur Bewertung und zum Umgang mit endokrinen Disruptoren vorgegeben.

4. Identifikation endokriner Disruptoren - Leitlinien und Listen

Für eine einheitliche Bewertung (entsprechend dem Prinzip "ein Stoff, eine Bewertung") werden auf europäischer Ebene regelungsübergreifend harmonisierte Kriterien zur Identifikation von ED entwickelt. Leitlinien für die Identifizierung von Endokrinen Disruptoren sind in der aktualisierten ECHA Guidance on the Application of the CLP criteria, die im November 2024 veröffentlicht worden ist und fünf Dokumente umfasst, enthalten. Informationen zur Anwendung der ED-Kriterien im Rahmen der Selbsteinstufung finden sich für ED HH in Teil 3.11 und für ED ENV in Teil 4.2.

Es sind verschiedene Listen mit Informationen über den aktuellen Status der Bewertung von Stoffen verfügbar. Diese sind entweder bereits als endokrine Disruptoren identifiziert worden oder werden derzeit als endokrine Disruptoren untersucht. Außerdem enthalten sie Informationen über die endokrine Aktivität von Stoffen und über standardisierte OECD-Nachweismethoden zur Identifizierung endokriner Disruptoren. Nachfolgend findet sich eine Übersicht:

  • Endocrine disruptor assessment list
    Die ECHA veröffentlicht in der "Endocrine disruptor assessment list" die Stoffe, die einer ED-Bewertung unterzogen werden und die der ED-Expertengruppe der ECHA zur Diskussion vorgelegt wurden. Diese Liste enthält nach dem letzten Update vom 25.2.2025 129 einzelne Substanzen.
  • Endocrine Active Substances Information System (EASIS)
    (Datenbank der Europäischen Kommission)
    EASIS ist eine Datenbank der Europäischen Kommission, die Informationen über endokrine Wirkungen von Chemikalien enthält. Derzeit sind Daten zu über 600 Stoffen verfügbar, die aus 10 000 Studien stammen, einschließlich Tierversuche und humane Daten.Die Daten stammen aus wissenschaftlichen Studien, die von unabhängiger Seite begutachtet wurden, und in einem standardisierten Format unter Verwendung der harmonisierten OECD-Templates (OHTs) dargestellt werden. Dadurch wird die Kompatibilität mit anderen internationalen Datenerhebungen gewährleistet.
  • Endocrine Disruptor Lists I-III - Edlists.org (Mitgliedstaaten)
    Im Juni 2020 wurden die "Endocrine Disruptor Lists" von Belgien, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und Schweden eingeführt, Spanien schloss sich 2021 an. Die Listen dienen als einheitliche Informationsquelle und informieren über den Status von in der EU als endokrine Disruptoren (ED) identifizierten oder geprüften Stoffen.
    • Liste I: Substanzen, die auf EU-Ebene als endokrine Disruptoren identifiziert wurden.
    • Liste II: Substanzen, die derzeit auf endokrine Disruption unter EU-Gesetzgebung untersucht werden.
    • Liste III: Substanzen, die von der bewertenden nationalen Behörde als endokrine Disruptoren angesehen werden.
  • Die Listen werden mindestens halbjährlich aktualisiert.
  • OECD-Nachweisverfahren
    Standardisierte Verfahren zum Nachweis von ED werden in dieser Zusammenfassung der OECD gelistet. Neben Tiermodellen (in vivo) gehören hierzu auch Zellkultursysteme (in vitro) und computerunterstützte Berechnungsmethoden (in silico). In Zukunft sollen Tierversuche immer mehr durch alternative Methoden ersetzt werden. Da aber mechanistische Tests fehlen und das endokrine System sehr komplex ist, wird dies immer eine Herausforderung bleiben.

Weiterführende Informationen

CLP-Verordnung: Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (Classification, Labelling, Packaging)

Delegierte Verordnung (EU) 2023/707 der Kommission vom 19. Dezember 2022 zur Änderung der CLP-Verordnung (EG) in Bezug auf die Gefahrenklassen

Endocrine disruptor assessment list der ECHA

Endocrine Active Substances Information System (EASIS)

Endocrine Disruptor Lists I-III der Mitgliedsstaaten

OECD-Nachweisverfahren

Ansprechperson

Dr. rer. nat. Sabine Werner

Expositions- und Risikobewertung

Tel: ++49 30 13001-3153