Berufsbedingte körperliche Fehlbelastungen hängen eng mit der Entstehung von Beschwerden und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems zusammen, die in Deutschland nach wie vor zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsausfall zählen. Um Gefährdungen des Muskel-Skelett-Systems gezielt und systematisch zu ermitteln und zu beurteilen und daraus entsprechende Präventionsmaßnahmen abzuleiten und umzusetzen, sind geeignete Methoden zur Bewertung auftretender Belastungen und Beanspruchungen erforderlich. Im Rahmen des Gemeinschaftsprojektes MEGAPHYS der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) wurden Gefährdungsbeurteilungsmethoden für körperliche Belastungen mit unterschiedlichem Detaillierungsgrad entwickelt (Methodenebenen: Spezielles Screening, Experten-Screening, Messtechnische Analyse, Labormessungen/Simulation). Die Ergebnisse werden in zwei Bänden veröffentlicht.
Der vorliegende Band 2, herausgegeben von der DGUV, beschreibt die Neu- und Weiterentwicklungen auf den Methodenebenen Experten-Screening, Messtechnische Analyse und Labormessungen/Simulation.
Auf der Ebene des Experten-Screenings wurden bestehende Instrumente vom Institut für Arbeitswissenschaft der Technischen Universität Darmstadt (IAD) mit dem Ziel einer breiteren Anwendbarkeit überarbeitet, praktisch erprobt und evaluiert. Das IAD integrierte beispielsweise weitere Belastungsarten (Körperfortbewegung) und ergänzte die Bewertung von heterogenen Last- bzw. Kraftfällen und setzte diese in rechnergestützte Tools um ("Megaphys-MonKras", "Megaphys-MultipLa”). Darüber hinaus entstanden Ansätze zur Beschreibung der zeitlichen Abfolge von Belastungen (Belastungsmatrix) sowie zur körpersegment-bezogenen Bewertung.
Auf der Ebene der Messtechnischen Analyse erarbeitete und evaluierte das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) Ansätze für die Beurteilung messtechnisch ermittelter Muskel-Skelett-Belastungsdaten. Die insgesamt 28 Ansätze umfassen biomechanische und leistungsphysiologische Betrachtungsweisen und beziehen sich auf die Körperregionen Nacken/HWS, Schultern/Oberarme, Ellenbogen/Unterarme, Hände/Handgelenke, unterer Rücken/LWS, Hüfte und Knie. Zusätzlich wurden Indikatoren zur Belastungsanalyse bzgl. des Herz-Kreislauf-Systems und des Arbeitsenergieumsatzes definiert. Hierdurch liegt nun auf der Ebene der Messtechnischen Analyse ein evaluiertes Erfassungs- und Bewertungssystem vor, dass sowohl für einzelne Körperregionen als auch insgesamt für Mischbelastungen eine verlässliche Bewertung arbeitsbezogener Muskel-Skelett-Belastungen nach dem MEGAPHYS-Risikokonzept ermöglicht.
Auf der Ebene der Labormessung/-simulation wurden vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund (IfADo) Methoden und Werkzeuge zur Gefährdungsanalyse bei physischen Belastungen hinsichtlich der biomechanischen Auswirkungen auf das Muskel-Skelett-System und insbesondere die Wirbelsäule weiterentwickelt und evaluiert. Das IfADo aktualisierte und/oder ergänzte bestehende Übersichten, Verfahren und Kriterien. Besonders hervorzuheben ist die Kopplung der Systeme Der Dortmunder und CUELA, die Weiterentwicklung eines Lumbalbelastungsatlas, die Definierung geeigneter Kenngrößen und Bewertungskriterien der situativen und kumulativen Rückenbelastung, die lumbal-biomechanischen Evaluation von Screening-Werkzeugen sowie die Ableitung der Revidierten Dortmunder Richtwerte.
Weiterhin präsentiert dieser Band die Konvergenzbetrachtungen aus der MEGAPHYS-Feldstudie. Die Arbeitsschichtbewertungen der Methodenebenen Spezielles Screening, Experten-Screening und Messtechnische Analyse wurden paarweise einander gegenübergestellt und hinsichtlich des Zusammenhangs analysiert.
Insgesamt stehen dem präventiven Arbeitsschutz abgestimmte und evaluierte Methoden zur Verfügung, die auf die Prävention von körperlichen Fehlbelastungen im Beruf abzielen. Die unterschiedlichen Detaillierungsgrade der neu- und weiterentwickelten Verfahren gewährleisten, dass den Erfordernissen der Praxis hinsichtlich Genauigkeit und Komplexität der Gefährdungsanalyse entsprochen wird. Die Methoden des Experten-Screenings, der Messtechnischen Analyse im Feld und der Labormessungen bzw. -simulation ermöglichen Ergonomiefachkräften sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern komplexe Belastungsfälle nach dem gemeinsamen MEGAPHYS-Risikokonzept zu analysieren und zu beurteilen, die mit einfachen Screeningverfahren nicht abzubilden sind.
MEGAPHYS: Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz (DGUV Report 3/2020).
Abschlussbericht zum Kooperationsprojekt von BAuA und DGUV - Band 2
Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV), Berlin 2020
Band 1 des Abschlussberichts (herausgegeben von der BAuA)