Verbindliche Beurteilungsmaßstäbe für krebserzeugende Gefahrstoffe

Bild: IFA

Zum Schutz der Beschäftigten vor Gesundheitsschädigungen durch Gefahrstoffe am Arbeitsplatz existieren im deutschen Gefahrstoffrecht verschiedene Arten von Grenzwerten unterschiedlicher Herkunft und Qualität, die in der Gefahrstoffverordnung als verbindliche Beurteilungsmaßstäbe bezeichnet werden. Sie sind zwingend einzuhalten bzw. bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen.

Als verbindliche Beurteilungsmaßstäbe gelten gemäß der Gefahrstoffverordnung für Luftkonzentrationen

  • Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW)
  • Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen (AK und TK)

sowie für Konzentrationswerte in biologischem Material

  • Biologische Grenzwerte (BGW)
  • Äquivalenzwerte zu Toleranz- und Akzeptanzkonzentrationen.

Während AGW und BGW sowohl für nicht-krebserzeugende als auch für krebserzeugende Gefahrstoffe vorliegen, werden AK und TK und die entsprechenden Äquivalenzwerte nur für krebserzeugende Gefahrstoffe festgelegt.

Unterschieden werden muss zwischen verbindlichen Beurteilungsmaßstäben, die in Deutschland auf Vorschlag des Ausschusses für Gefahrstoffe (AGS) vom zuständigen Bundesministerium erlassen werden, und Grenzwerten, die die Europäische Union (EU) festlegt und die von den Mitgliedstaaten in nationalen Regularien umzusetzen sind.

Grundsätzlich erfolgt die Festlegung verbindlicher Beurteilungsmaßstäbe auf Vorschlag des AGS auf Basis arbeitsmedizinischer Erfahrungen und toxikologischer Erkenntnisse. Dabei muss sichergestellt sein, dass durch die Einhaltung der Beurteilungsmaßstäbe der Schutz der Gesundheit der Beschäftigten gewahrt ist. Bei unzureichender Datenlage können folglich keine verbindlichen Beurteilungsmaßstäbe festgelegt werden. Es gilt dann das Minimierungsgebot. Im Gegensatz dazu berücksichtigen Grenzwerte der EU auch sozioökonomische Gesichtspunkte.

Alle in Deutschland geltenden verbindlichen Beurteilungsmaßstäbe (also auch die national umgesetzten Werte der EU) werden in den entsprechenden Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) gelistet.

Liegen für einen Gefahrstoff keine verbindlichen Beurteilungsmaßstäbe vor, muss zur Beurteilung der Exposition auf andere Beurteilungsmaßstäbe zurückgegriffen werden. Dazu zählen beispielsweise die Grenzwertvorschläge der Ständigen Senatskommissionzur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Kommission) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).


Luftgrenzwerte

  • Verbindliche Beurteilungsmaßstäbe deutscher Herkunft für die inhalative Exposition

    Für Luftkonzentrationen von Gefahrstoffen werden entsprechend des jeweiligen Wirkprinzips entweder


    zur Begrenzung der inhalativen Exposition abgeleitet. Sie sind als Schichtmittelwerte zu verstehen. Gelistet werden diese Grenzwerte in den TRGS 900 bzw. 910.

    Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW)

    können abgeleitet werden, wenn die gesundheitsschädigende Wirkung eines Stoffes einem Schwellenwertmechanismus unterliegt. Dies kann auch bei krebserzeugenden (kanzerogenen) Stoffen zutreffen. Bei Einhaltung des AGW sind dann - entsprechend der Definition für AGW gemäß der Gefahrstoffverordnung - akute oder chronische schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten bei arbeitstäglicher Exposition im Allgemeinen nicht zu erwarten.

    Risikokonzentrationen

    werden für krebserzeugende Stoffe der Kategorien 1A und 1B ermittelt, für die kein Schwellenwert bestimmbar und daher auch kein sicherer Grenzwert als AGW ableitbar ist, weil auch bei sehr niedrigen Luftkonzentrationen ein Restrisiko bleibt, an Krebs zu erkranken. Mit Hilfe von Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB) können jedoch stoffspezifisch Luftkonzentrationen (Risikokonzentrationen) ermittelt werden, die diesen niedrigen (Rest-)Risiken entsprechen. Sie beziehen sich auf die Wahrscheinlichkeit, bei kontinuierlicher arbeitstäglicher Exposition über das gesamte Berufsleben (40 Jahre) hinweg an arbeitsbedingtem Krebs zu erkranken. Die Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten orientieren sich für diese Stoffe an der jeweiligen AK und TK, die dem Akzeptanzrisiko von 4 : 10.000 und dem Toleranzrisiko von 4 : 1.000 entsprechen. Diese Risikogrenzen sind nicht wissenschaftlich begründet, sondern gesellschaftspolitisch gesetzt: Risiken unterhalb des Akzeptanzrisikos (Grünbereich) werden akzeptiert, oberhalb des Toleranzrisikos (Rotbereich) sind sie nicht tolerabel. Bei Risiken im Bereich zwischen Akzeptanzrisiko und Toleranzrisiko (Gelbbereich) müssen technische oder organisatorische Schutzmaßnahmen zur Reduzierung der Exposition ergriffen werden.

  • Verbindliche Luftgrenzwerte der EU

    Die Europäische Kommission legt zwei Arten von Luftgrenzwerten fest:


    Alle BOELV, die die EU erlassen hat, sind von den Mitgliedstaaten verpflichtend als Mindeststandards zu übernehmen, sie dürfen aber niedriger sein. Für jeden IOELV müssen die EU-Mitgliedstaaten ebenfalls einen Luftgrenzwert festlegen, der sich in seiner Höhe an dem entsprechenden Wert orientieren muss.

    Die Überführung europäischer Luftgrenzwerte in deutsches Recht erfolgt durch Aufnahme oder Änderung eines entsprechenden verbindlichen Beurteilungsmaßstabs in der TRGS 900 als AGW oder in der TRGS 910 als AK und TK. Bei der Umsetzung dieser Werte erfolgen in einigen Fällen Absenkungen von schon vorhandenen verbindlichen Beurteilungsmaßstäben in der TRGS 900 bzw. der TRGS 910.

Biologische Grenzwerte

Ergänzend zu den Luftgrenzwerten kann die Überwachung biologischer Grenzwerte im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge und Prävention einen wichtigen Beitrag zum Arbeitsschutz liefern. Dazu erfolgt die Untersuchung biologischen Materials von Beschäftigten, in der Regel Blut oder Urin, in dem Gefahrstoffe, deren Stoffwechselprodukte (Metaboliten) oder biologische Beanspruchungsparameter quantitativ bestimmt werden. Diese Werte können dann mit biologischen Grenzwerten, die für das jeweilige biologische Material abgeleitet wurden, verglichen werden. Untersuchungen des biologischen Materials bedürfen in der Regel des Einverständnisses der betroffenen Person.

Die Ergebnisse des Biomonitorings bilden in erster Linie die individuelle Belastung der einzelnen Beschäftigten ab, können aber auch Hinweise auf unzureichende Schutzmaßnahmen liefern. Im Gegensatz zur Expositionsüberwachung mit Luftgrenzwerten ermöglicht das Biomonitoring auch die Beurteilung der dermalen und oralen Exposition. Ebenso kann Biomonitoring hilfreich sein, wenn die Exposition nicht durch Luftmessungen erfassbar ist, eine Exposition gegenüber Stoffen mit langer biologischer Halbwertszeit vorliegt oder wenn getroffene Schutzmaßnahmen überprüft werden sollen.

  • Verbindliche Beurteilungsmaßstäbe deutscher Herkunft in biologischem Material

    Als verbindliche Beurteilungsmaßstäbe für Konzentrationen bestimmter Parameter im biologischen Material werden in Deutschland

    • Biologische Grenzwerte (BGW) oder
    • Äquivalenzwerte zu Toleranz- und Akzeptanzkonzentrationen (TK und AK)

    festgelegt.

    Voraussetzung für die Ableitung eines solchen verbindlichen Beurteilungsmaßstabs ist ein direkter Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Belastung. Das heißt, die Konzentration eines im biologischen Material bestimmbaren Parameters steht in einer festen Beziehung zu der Konzentration des jeweiligen Gefahrstoffes in der Luft am Arbeitsplatz. Ein biologischer Grenzwert entspricht dann der Konzentration im biologischen Material, die sich bei ausschließlich inhalativer Aufnahme bei Luftkonzentrationen in Höhe des entsprechenden verbindlichen Beurteilungsmaßstabs (AGW bzw. TK/AK) bei arbeitstäglicher Exposition einstellen würde.

    Verbindliche Beurteilungsmaßstäbe für Parameter in biologischem Material werden entweder in der TRGS 903 als BGW oder in der TRGS 910 als Äquivalenzwert zur Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen gelistet.

    Bei der Bewertung der Befunde des Biomonitorings ist zu beachten, dass bei einer Überschreitung eines biologischen Grenzwerts für die betroffene Person nicht notwendigerweise eine gesundheitliche Beeinträchtigung ableitbar ist, denn im Allgemeinen sind biologische Grenzwerte als mittlere Konzentrationen über einen längeren Zeitraum zu verstehen. Dies gilt insbesondere für Äquivalenzkonzentrationen zu TK und AK, da für die krebserzeugende Wirkung eher die durchschnittliche bzw. kumulative Dosis über einen längeren Zeitraum entscheidend ist als kurzzeitige höhere Expositionen. Nur für Stoffe mit einem BGW, der vor akut toxischen Effekten schützen soll, wird eine Überschreitung des BGW zu keinem Zeitpunkt toleriert. Diese Stoffe werden in der Liste der biologischen Grenzwerte mit einer entsprechenden Fußnote gekennzeichnet.

  • Verbindliche biologische Grenzwerte der EU

    Bisher wurden auf EU-Ebene nur verbindliche biologische Grenzwerte für nicht-krebserzeugende Gefahrstoffe festgelegt. Grundsätzlich sind auch diese EU-Grenzwerte als Mindeststandard in das nationale Regelwerk zu überführen, dürfen aber auch niedriger angesetzt sein. Sofern kein niedrigerer nationaler BGW festgelegt ist, ist der verbindliche biologische Grenzwert der EU zur Beurteilung heranzuziehen.

Weitere Informationen

Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung - GefStoffV)

Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 900 "Arbeitsplatzgrenzwerte"

Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 903 "Biologische Grenzwerte (BGW)"

Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 910 "Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen"

MAK- und BAT-Werte-Liste der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Ansprechperson

Dr. rer. nat. Marco Steinhausen

Expositions- und Risikobewertung

Tel: +49 30 13001-3150
Fax: +49 30 13001-38001