Jens Sauerbier

Rollstuhlrugby

Jens Sauerbier im Rugby-Rollstuhl in einer sonst menschenleeren Hall. Den Ball hält er in der Hand. Schlanker Mann mit schlankem Gesicht, kurzem Vollbart und Glatze.

Bild: DGUV / WE DO / Livia Hanson

Jens Sauerbier hat als Kind Träume wie viele andere: Spitzensportler werden und Medaillen holen! Als Fußballprofi deutscher oder europäischer Meister werden! Manche Träume platzen; bei Jens ist es ein Reifen des Autos in dem er sitzt. Der Wagen überschlägt sich mehrfach, danach ist der Sechszehnjährige Tetraplegiker. Tetra bedeutet, dass alle vier Gliedmaßen in ihrer Funktion eingeschränkt sind. Jens wird in ein 10-tägiges sogenanntes künstliches Koma versetzt. Nach dem Aufwachen erklären Ärzte ihm, der er Fußballprofi werden wollte, dass er wohl nie wieder wird laufen können.

Hier spricht Jens davon, wie sich sein Leben um 180 Grad gedreht hat, wie aus einem sehr aktiven jungen Menschen, der gerade im Begriff ist, das Leben zu entdecken, jemand wird, der in vielfacher Hinsicht auf Hilfe angewiesen ist:


Die Rehabilitation verlangt ihm Geduld ab. Jens muss zunächst lernen, sich aufzurichten, ohne dass ihm der Blutdruck wegsackt. Es dauert wenigstens einen Monat, bis er seinen Arm ganz über seinen Kopf heben kann.

Als 16-jähriger lernen, sich selbst Brötchen zu schmieren

Dann geht es darum, Grundfertigkeiten wie Zähneputzen neu zu lernen. Praktische Tricks, Kompensationstechniken genannt, unterstützen das Erlernen eigentlich einfacher Dinge wie das sich Anziehen oder Schmieren eines Brötchens. "Kompensationstechniken sind das A und O", sagt Jens. Ihm kommt es an dieser Stelle der Reha vor allem darauf an, wieder zu selbstbestimmten Zeiten ins Bett gehen zu können.

Jens Sauerbier beim Training. ImRollstuh sitzend zieht er seinen Arm seitwärts. Sein Arm ist mit einem Kabel verbunden, das ein Gewicht in die Höhe zieht.

Jens Sauerbier beim Training.
Bild: DGUV / WE DO / Livia Hanson

Andere Übungen zielen auf die Verbesserung der Mobilität und der körperlichen Leistungsfähigkeit. Denn wenn, wie Jens sagt, man vielleicht nur noch 20 Prozent seiner Leistungsfähigkeit hat, dann sollte man die 20 Prozent, die man noch verblieben hat, bestmöglich nutzen können.

Wichtig sind aber auch Transferleistungen: Wie komme ich aus dem Bett in den Rollstuhl und von dort ins Auto?


Zurück in den Sport

Der Unfall verwirft auch Jens berufliche Pläne. Ein knappes Jahr Schulzeit hat Jens verloren. Er macht sein Fachabitur, studiert Soziale Arbeit – und merkt, dass ihm Sport fehlt. Als er die Olympischen Spiele in Peking verfolgt, fasst er den Entschluss, Sport zu machen und auch zu studieren.

Zwei Spieler im Rugby-fähigen Rollstühlen, Sauerbach links, versucht dem anderen den Ball abzujagen.

Rollstühle wie Autoscooter.
Bild: DGUV / WE DO / Livia Hanson

Jens, der frühere Fußballer, entdeckt auf der Messe Reha-Care Rollstuhlrugby als seinen neuen Sport. Endlich ist ein Rollstuhl mal wieselflink, endlich ist er nicht nur eine bloße Notwendigkeit, sondern macht Spaß. Spaß, wie Autoscooter Spaß macht. Und in dieser ungewöhnlichen Sportart, nur rund 200 Menschen spielen in Deutschland Rollstuhlrugby, schafft es Jens tatsächlich auch in die Bundesliga.

Jens wird Nationalspieler

2024 fährt Jens mit der deutschen Nationalmannschaft zu den Paralympics nach Paris und spielt vor über 8000 Zuschauern. So hat sich sein Kindheitstraum auf eine andere Weise doch noch erfüllt.


Jens sitzt rechts im Rollstuhl. Links von ihm sitzt ein anderer Mann im Rollstuhl und trainiert. Jens spricht zu ihm.

Bild: DGUV / WE DO / Livia Hanson

Mentor im Peer-Counseling

Neben seinem Training und seiner beruflichen Arbeit engagiert sich Jens in einem Peer-Programm für Rollstuhlfahrende. Dabei handelt es sich um ein Angebot der BG-Kliniken: Hier treffen seit kurzem querschnittgelähmte Menschen auf erfahrene Rollstuhl-Fahrerinnen und -Fahrer, die sich eine positive Zukunft aufgebaut haben. Doris Maier, die das Zentrum für Rückenmarksverletzte und das Peer-Programm in der BG Klinik Murnau leitet, bestätigt: „Es hat eine ganz andere Glaubwürdigkeit, wenn ein Querschnittgelähmter den Frischverletzten sagt, was sie alles erreichen können, als wenn das ein Arzt macht.“

Jens, erlebt die Peer-Arbeit als eine sehr erfüllende Aufgabe. Er freut sich, Menschen Hoffnung machen zu können, die an dem Anfang eines aus dem Bahnen geworfenen Lebens stehen. So wie er seine Kindheitsträume platzen sah, als er schon Mühe hatte, nur seinen Oberkörper zu heben. Um dann doch mit Willen und professioneller Unterstützung Spitzensportler zu werden.