Diagnostik und Therapie von Mesotheliomen machen Fortschritte. Ausgehend von der Annahme, dass Krebs in früheren Entwicklungsstadien besser therapiert werden kann, wären die Vorteile der neuen Therapieansätze für Betroffene noch größer, wenn eine effektive Früherkennung dazu führen würde, Mesotheliome in früheren Stadien als bisher zu diagnostizieren. Dem trägt das neue Erweiterte Vorsorgeangebot zur Früherkennung von Mesotheliomen – kurz EVA Mesothel – bei Patientinnen und Patienten mit anerkannter BK-Nr. 4103 Rechnung. Dabei kommt seit Frühjahr 2023 erstmalig ein Früherkennungsverfahren ohne Strahlenbelastung und unter Einsatz von Biomarkern in der Praxis zur Anwendung.
Mesotheliome sind vergleichsweise seltene Tumoren. In Deutschland werden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes jährlich circa 1.500 Mesotheliome neu diagnostiziert. Mesotheliome gelten wie kein anderer Tumor als Signaltumoren für eine vorherige Asbestexposition. Entsprechend häufiger ist ihr Auftreten in bestimmten Risikogruppen, zum Beispiel bei Patientinnen und Patienten mit anerkannter Berufskrankheit Nr. 4103 „Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura“. Etwa 800 Mesotheliome pro Jahr werden als BK-Nr. 4105 anerkannt.
Leider werden Mesotheliome bislang nur in Einzelfällen im Frühstadium „in situ“ und nur zu 15 % im T1-Stadium entdeckt. In fortgeschrittenen Stadien sind Mesotheliome häufig nur schwer chirurgisch zu entfernen und onkologisch zu behandeln: Fünf Jahre nach Erstdiagnose lebten nur noch 8 bis 9 % der Patientinnen und Patienten mit einem anfänglichen T2- bis T4-Stadium. Die durchschnittliche Überlebenszeit betrug bei ihnen nur rund 13 bis 19 Monate (Nowak et al. 2016). Dabei ist die Lebensqualität der Betroffenen trotz aller palliativmedizinischer Bemühungen häufig nicht befriedigend.
Erfreulicherweise konnten insbesondere auf dem Gebiet der onkologischen Therapien von Mesotheliomen in den letzten Jahren Fortschritte erzielt werden: Die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren erobern auch beim Mesotheliom die Therapieleitlinien. In der Forschung spielen immer mehr molekularbiologische Ansätze zur Diagnose und zur Prognose eine Rolle, die schließlich ein gezielteres Therapieren von Mesotheliomen ermöglichen sollen.
Doch alle diese Ansätze und teilweise schon Ergebnisse haben eines gemeinsam: Findet man das ideale Mittel, um Mesotheliome zu therapieren, so darf der daraus resultierende Zellzerfall nicht den Körper des Patienten überfordern. Auch daraus ergibt sich der dringende Bedarf, Mesotheliome früher als bisher und damit in früheren Tumorstadien erkennen zu können.
Die Früherkennung von Mesotheliomen hat sich bisher als nahezu unmöglich erwiesen. Das in anderen Vorsorgenangeboten übliche niedrigdosierte hochauflösende CT des Brustkorbes (LD-HRCT Thorax) kann nicht zur Früherkennung von Mesotheliomen angewendet werden, da durch das zunächst flächige Tumorwachstum die Mesotheliome radiologisch nicht frühzeitig darstellbar sind. Bislang gelingt die Früherkennung von Pleuramesotheliomen noch mit keinem bildgebenden Verfahren (Kraus T. et al. 2020). Deshalb findet die CT-Untersuchung auch keine entsprechende Empfehlung durch die nationalen und internationalen Leitlinien.
Am IPA wurden im Rahmen der MoMar-Studie in den letzten Jahren Blut-basierte Tests zur Früherkennung von Mesotheliomen entwickelt und etabliert (Johnen et al. 2016, 2020). Die im Blut vorkommenden Biomarker Calretinin und Mesothelin waren in der MoMar-Studie bei knapp 50 % der Fälle bis zu einem Jahr vor einer später erfolgten Diagnose insbesondere bei epitheloiden Mesotheliomen erhöht. So konnte gezeigt werden, dass sie für eine Früherkennung ohne Strahlenbelastung grundsätzlich geeignet sind (Johnen et al. 2018).
Bereits 2018 wurde vom Ausschuss Berufskrankheiten der Geschäftsführerkonferenz der DGUV die Projektgruppe „Mesotheliomtherapie“ eingerichtet. Anfang 2020 wurde die Projektgruppe beauftragt, die gewonnenen Erkenntnisse zu den Biomarkern in die Praxis umzusetzen. Eingebettet wurde das neue Früherkennungsangebot in die von der DGUV unterstützte DKG-Zertifizierung von Mesotheliomeinheiten an bereits bestehenden und zertifizierten Lungenkrebszentren. Damit sollte sichergestellt werden, dass sowohl die weitere diagnostische Abklärung als auch eine gegebenenfalls notwendige Therapie der Mesotheliome durch ausgewiesene Expertinnen und Experten erfolgt. Sie verfügten nicht nur über das erforderliche Wissen, sondern auch aufgrund höherer Fallzahlen über die entsprechende Erfahrung. Bis Ende August 2023 konnten bereits 15 Mesotheliomeinheiten in Deutschland DGUV-gefördert zertifiziert werden. Das Angebot wurde von der Asbestose-Selbsthilfegruppe NRW positiv aufgenommen und auf den Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM), der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) und auf dem Deutschen Krebskongress wissenschaftlich diskutiert. Schließlich startete das Angebot EVA-Mesothel im Frühjahr 2023 in einer Pilotregion in NRW.
In der Projektgruppe wurden neben den grundsätzlichen Aufgaben, wie der Erstellung eines Workflows mit allen notwendigen Dokumenten und der Einführung eines Labors für die Bestimmung der Biomarker, auch Details wie Vergütungstabellen sowohl für die beteiligten Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner als auch für die Mesotheliomeinheiten erstellt. Mit Unterstützung des Instituts für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) führte die Projektgruppe Mesotheliomtherapie Anfang März insgesamt vier Online-Fortbildungsveranstaltungen für die in der Pilotregion beteiligen Unfallversicherungsträger sowie CME-zertifiziert für Ärztinnen und Ärzte durch. Wissenschaftlich wurde parallel das Verfahren zur Biomarkerbestimmung fortentwickelt. Dabei stand der Fokus vor allem auf der Stabilität der Biomarker während des Probenversandes an das Labor.
Parallel zu den Vorbereitungen zu EVA-Mesothel wurde vom IPA leitliniengerecht das wissenschaftliche Begleitprojekt EVA-Mesothel-Monitor entwickelt. Nach der Abstimmung mit den zuständigen Datenschutzbeauftragten und der Genehmigung durch die Ethik-Kommission der Ruhr-Universität Bochum wurde das dem Projekt zu Grunde liegende Datenschutzkonzept der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Bundesamt für Soziale Sicherung, vorgelegt. Wenn die datenschutzrechtliche Genehmigung vorliegt, erfolgt die Integration des wissenschaftlichen Begleitprojekts EVA-Mesothel-Monitor in die Abläufe von EVA-Mesothel.
Aufgabe von EVA-Mesothel-Monitor ist es zu überprüfen, ob die aus MoMar bekannten Eigenschaften der beiden Biomarker in der Praxis von EVA-Mesothel erreicht oder möglicherweise sogar übertroffen werden. Dazu zählt auch die Suche nach bislang unbekannten Störfaktoren, um das Ergebnis der Blutuntersuchungen zu verbessern. Darüber hinaus wird ein Abgleich mit den Krebsregistern der Länder die Fragen beantworten, ob Mesotheliome durch EVA-Mesothel frühzeitiger erkannt werden und ob die Teilnahme an EVA-Mesothel schließlich zu einer verbesserten Überlebensrate führt.
Seit dem Frühjahr 2023 bekommen Versicherte mit einer anerkannten BK-Nr. 4103 in der Pilotregion zum Beispiel im Rahmen von erneuten Begutachtungsterminen das Angebot, an EVA-Mesothel teilzunehmen. Auch in der Poliklinik des IPA finden seit einigen Wochen die ersten Termine für EVA-Mesothel statt. Die dabei unmittelbar gemachten Erfahrungen der beteiligten Ärztinnen und Ärzte werden zeitnah in der Projektgruppe Mesotheliomtherapie erfasst, um die Abläufe vor einer bundesweiten Ausrollung nach Ende des Pilotprojektes optimieren zu können.
Aufgrund der erwartbar niedrigen Anzahl von auffälligen Biomarker-Befunden wird die Pilotphase voraussichtlich bis 2025 dauern, damit auch die Abläufe an der Schnittstelle zur Ruhrlandklinik Essen als Pilot-Mesotheliomeinheit erprobt werden können. Wenn auch dort die Abläufe validiert und ggf. optimiert worden sind, steht die Ausweitung von EVA-Mesothel auf das gesamte Bundesgebiet an.
Die Autoren:
Prof. Dr. Thomas Brüning
Dr. Christian Eisenhawer
Dr. Ingolf Hosbach
Dr. Georg Johnen
Nina Kaiser, M.Sc.
Dr. Dirk Taeger
Dr. Daniel Weber
Dr. Thorsten Wiethege
IPA
Die DGUV-Projektgruppe Mesotheliomtherapie setzt sich zusammen aus (in alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen):
Nowak AK Chansky K, Rice DC, Pass HI, Kindler HL, Shemanski L, Billé A, Rintoul RC, Batirel HF, Thomas CF, Friedberg J, Cedres S, de Perrot M, Rusch VW. The IASLC Mesothelioma Staging Project: Proposals for Revisions of the T Descriptors in the Forthcoming Eighth Edition of the TNM Classification for Pleural Mesothelioma. J Thorac Oncol 2016; 11; 2089-2099. DOI: 10.1016/j.jtho.2016.08.147
Kraus T, Teschler H, Baur X , Alberty J , Bock S, Bohle R, Duell M, Hämäläinen N, Heger M, Heise B, Hofmann-Preiss K, Kenn K, Koczulla K, Nothacker M, Nowak D, Özbek I, Palfner S, Rehbock B, Schneider J, Tannapfel A, Voshaar T. Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten. AWMF online 2020 1-99; https://register.awmf.org/assets/guidelines/002-038l_S2k_Diagnostik_und_Begutachtung_asbestbedingter_Berufskrankheiten_2021-01.pdf
Johnen G, Burek K, Raiko I, Wichert K, Pesch B, Weber DG, Lehnert M, Casjens S, Hagemeyer O, Taeger D, Brüning T. Prediagnostic detection of mesothelioma by circulating calretinin and mesothelin – a casecontrol comparison nested into a prospective cohort of asbestos exposed workers. Sci Rep 2018; 8: 14321. DOI:10.1038/s41598-018-32315-3
Johnen G, Weber D. Molekulare Marker für die Krebsfrüherkennung – Zwischenstand der MoMar-Studie. IPA-Journal 2016; 2: 22-25
Johnen G, Brüning T. Biomarker der MoMar-Studie zugelassen – Calretinin-Assay steht für die Früherkennung von Mesotheliomen zur Verfügung. IPA-Journal 2020; 1: 11-13