Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass politische Entscheidungen stark von wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängen. Gleichzeitig wurde deutlich, welche Herausforderung die verantwortungsvolle Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen darstellt. Mit Britta Ibald, Leiterin des Stabsbereichs Kommunikation bei der DGUV, sprechen wir im Interview zur Bedeutung der Wissenschaftskommunikation für die Arbeit der gesetzlichen Unfallversicherung.
Welche besonderen Herausforderungen bestehen bei der Vermittlung komplexer wissenschaftlicher Inhalte an ein breites Publikum?
Eine der größten Herausforderungen ist es, komplexe Themen so zu vereinfachen, dass sie für Laien verständlich sind, ohne dabei die wissenschaftliche Genauigkeit zu verlieren. Zudem müssen wir berücksichtigen, dass unterschiedliche Zielgruppen unterschiedliche Vorkenntnisse und Interessen haben. Eine klare, prägnante Kommunikation, die auf den jeweiligen Kontext und die Menschen darin zugeschnitten ist, ist entscheidend. Es geht nicht nur darum, Informationen zu vermitteln, sondern auch darum, diese so zu präsentieren, dass sie als relevant und zugänglich wahrgenommen werden.
Kann Wissenschaftskommunikation dazu beitragen, die Sicherheit und Gesundheit an Arbeitsplätzen und in Bildungseinrichtungen zu verbessern?
Absolut. Wissenschaftskommunikation ist ein essenzielles Werkzeug, um fundiertes Wissen in die Praxis zu transportieren. Indem wir wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich und praxisnah vermitteln, befähigen wir insbesondere Arbeitgebende, Beschäftigte und die Akteurinnen und Akteure in Bildungseinrichtungen dazu, präventive Maßnahmen zu ergreifen, die die Sicherheit und Gesundheit verbessern. Ein informierter Umgang mit Risiken und die Anwendung wissenschaftlich basierter und erprobter Strategien reduzieren Risiken ganz erheblich.
Welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um die Akzeptanz und Umsetzung von wissenschaftlich fundierten Präventionsmaßnahmen in Unternehmen zu erhöhen?
Prävention muss wissenschaftlich fundiert sein und zugleich praktisch gedeihen können. Dafür muss all denen, die die Maßnahmen umsetzen sollen, klar sein, welchen praktischen Nutzen sie davon haben: Warum und wie trägt diese Präventionsmaßnahme zu einer sichereren und gesünderen Arbeitsumgebung bei? Schulungen, Best-Practice-Beispiele und Erfolgsgeschichten aus anderen Unternehmen helfen ergänzend, das Bewusstsein zu schärfen und Vorbehalte abzubauen. Und natürlich tragen auch eine enge Zusammenarbeit und der regelmäßige Austausch zwischen Praxis und Wissenschaft zur Akzeptanz bei – wie jede Kommunikation darf auch die Wissenschaftskommunikation keine Einbahnstraße sein.
Wie können wissenschaftliche Erkenntnisse in der gesetzlichen Unfallversicherung am besten an Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, aber auch an Beschäftigte vermittelt werden?
Eine erfolgreiche Vermittlung setzt voraus, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse und Zugänge der Zielgruppen verstanden werden. Für größere Unternehmen, die regelmäßig eigenständige Beauftragte oder ganze Einheiten für den Arbeits- und Gesundheitsschutz vorhalten, sind detaillierte Studien und ausführliche Handlungsanweisungen verwert- und umsetzbar. Kleinere und mittlere Unternehmen dagegen, aber auch etwa Kitas und Schulen, haben mit Blick auf ihre Ressourcen ganz andere Bedürfnisse. Deshalb ist es entscheidend, die Informationen je nach Zielgruppe so passgenau zu vermitteln, dass sie schnell und einfach aufgenommen und nutzbar gemacht werden können.
Wie können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse verständlich und ansprechend für ein breites Publikum präsentieren, ohne die wissenschaftliche Genauigkeit zu verlieren?
Die schlechte Nachricht: Man kann nicht immer alles haben. Die gute Nachricht: Man braucht auch nicht immer alles. Wissenschaftskommunikation muss aus der Perspektive der Zielgruppen heraus agieren. Wenn die Zielgruppe Wissenschaft ist, wird wissenschaftlich kommuniziert, wenn die Zielgruppe nicht aus der Wissenschaft kommt, wird allgemeinverständlich kommuniziert. Dazu gehört auch, dass die Botschaft manchmal auf den Kern kondensiert, extrapoliert, plakatiert und visualisiert wird, weil sie es nur so bis in die Köpfe der Menschen schafft und als wirksame Prävention gedeihen kann. Praxisorientierte Leitfäden, kompakte Checklisten, kurze, prägnante Informationsblätter, auch in Gestalt digitaler Formate wie Erklärvideos, Podcasts, Webinare, mobile Apps, die jederzeit und von überall aus zugänglich sind – all das können und sollten auch Produkte von Wissenschaftskommunikation sein. Natürlich kann eine Checkliste nicht die gleiche wissenschaftliche Präzision abbilden wie ein Artikel in einer Fachzeitschrift – muss sie aber eben auch nicht. Mit dieser Grundhaltung und der Expertise der Wissenschaftskommunikatorinnen und -kommunikatoren ist sichergestellt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur theoretisch bleiben, sondern in der Praxis wirksam werden und Sicherheit und Gesundheit effektiv voranbringen.
Wie kann Wissenschaftskommunikation dazu beitragen, wissenschaftliche Fehlinformationen in der Öffentlichkeit zu reduzieren und Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken?
Indem sie zuverlässige, gut verständliche Informationen bereitstellt und transparent macht, wie diese Informationen zustande gekommen sind. Nahbarkeit, Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit sind die Schlüssel: Eine ansprechbare Wissenschaftskommunikation, die Fragen beantwortet und auf Bedenken eingeht, schafft Vertrauen. Wichtig ist auch die proaktive Aufklärung über Fehlinformationen in Gestalt von Faktenchecks und Klarstellungen: Wissenschaftskommunikation sollte auf verbreitete „fake news“ reagieren, indem sie korrekte Informationen bereitstellt, Mythen klar widerlegt und auch immer wieder die wissenschaftliche Methodik erklärt: Wie entstehen wissenschaftliche Erkenntnisse, warum entwickelt sich Wissen immer weiter und warum sind Unsicherheiten normal? Antworten auf diese Fragen helfen, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken.
Welche Strategien haben sich als besonders effektiv erwiesen, um wissenschaftliche Studien und Daten verständlich zu präsentieren? Welche Rolle kommt dabei den Sozialen Medien zu?
Ein bewährter Ansatz ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse in Form von Geschichten zu erzählen. Storytelling in Text wie Bild hilft, komplexe Daten in einen nachvollziehbaren Kontext zu setzen und das Interesse zu wecken. Soziale Medien spielen dabei eine immer wichtigere Rolle, da sie ermöglichen, schnell und direkt mit einem breiten Publikum zu kommunizieren. Durch die Nutzung von Plattformen wie LinkedIn, Instagram oder YouTube können bestimmte Zielgruppen angesteuert und Interaktionen gefördert werden. Besonders performant in Sachen Wissenschaftskommunikation ist definitiv YouTube. Geklickt werden dort vor allem Clips, bei denen eine Person das Thema erläutert und über die Kommentarfunktion auch in den direkten Austausch mit der Community tritt – da gibt es viele Best Practice-Beispiele einer verständlichen, nah- und ansprechbaren Wissenschaftskommunikation, die vor allem auch bei der jüngeren Zielgruppe das Interesse an Forschung und Wissenschaft wecken.
Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und der gesetzlichen Unfallversicherung gestärkt werden, um die Sicherheit und Gesundheit zu fördern?
Glücklicherweise ist die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und gesetzlicher Unfallversicherung schon heute systemimmanent institutionalisiert. Mit dem Institut für Prävention und Arbeitsmedizin (IPA), dem Institut für Arbeitsschutz (IFA), dem Institut für Arbeit und Gesundheit (IAG) und der Hochschule der Gesetzlichen Unfallversicherung (HGU) verfügen die Unfallversicherungsträger über vier wissenschaftlich arbeitende Forschungs- und Bildungsinstitutionen, die national wie international hohes Ansehen genießen. Diese Einrichtungen leisten in verschiedensten Disziplinen herausragende Arbeit in der Erforschung, Entwicklung und Evaluation von Maßnahmen zur Förderung der Sicherheit und Gesundheit in der Arbeits- und Bildungswelt. Die enge Verzahnung von Wissenschaft und Praxis in den Instituten unterstützt die gesetzliche Unfallversicherung dabei, innovative Forschungsergebnisse gezielt und zeitnah in die Betriebe zu tragen. Darüber hinaus bestehen vielfältige Kontakte zu externen Forschenden und wissenschaftlichen Projekten. Dieser wertvolle Austausch sollte gepflegt und ausgebaut werden, ebenso Netzwerke und Plattformen, die den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis fördern. Wenn gesetzliche Unfallversicherung und Wissenschaft Seite an Seite vorangehen und sich gegenseitig fördern und fordern, werden wir im Ergebnis weiterhin innovative Ansätze und Lösungen für noch mehr Sicherheit und noch mehr Gesundheit sehen – und die Wissenschaftskommunikation wird noch viele spannende Geschichten zu erzählen haben.