Kohlefaserverstärkte Kunststoffe werden aufgrund ihrer Festigkeit und gleichzeitig geringem Gewicht zunehmend verarbeitet. Es fehlen aber noch gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Stäuben beim Umgang mit kohlefaserverstärkten Kunststoffen. In einem Kooperationsprojekt wurde untersucht, wie sich verschiedene Recyclingverfahren auf die Gefährdung durch kohlefaserverstärkte Kunststoffe auswirken. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf entzündlichen Wirkungen der entstehenden Faserbruchstücke.
Kohlefaserverstärkte Kunststoffe (CFK) bestehen aus Kohlefasern von etwa 8 μm Durchmesser und mehreren Hundert μm Länge, die in verschiedene Kunststoffmatrices eingebettet sind. CFK werden wegen ihrer hervorragenden Festigkeit und Steifigkeit bei gleichzeitig sehr geringem Gewicht zunehmend eingesetzt. Verwendet werden sie beispielsweise in großen Rotoren von Windkraftanlagen, im Karosserie- und Flugzeugbau oder als leichte, druckfeste Tanks für Wasserstoff. Angesichts der wachsenden Nachfrage nach CFK stellt sich die Frage, wie diese weiterverarbeitet und entsorgt werden können.
Prinzipiell stehen inhalierbare Fasern mit einer langen Verweildauer in Geweben, man spricht hier von biobeständig, im Verdacht, krebserzeugend zu sein. Belastbare wissenschaftliche Daten zur Wirkung von Fasern beim Menschen liegen aber nur für Asbest vor (IARC 2002, 2012). Gesundheitliche Auswirkungen anderer Fasern werden auf Basis von Tierversuchen oder Analogiebetrachtungen abgeschätzt, insbesondere wenn deren Anwendungen selten oder neuartig sind.
Die Toxizität von Fasern wird bestimmt durch ihre physikalischen Eigenschaften sowie ihrer Biobeständigkeit und den daraus resultierenden entzündlichen Eigenschaften. Arbeitsplatzgrenzwerte für Partikel zielen auf die Vermeidung der Entzündung ab. Die Zulassung von faserartigen Werkstoffen steht in engem Zusammenhang mit deren Biobeständigkeit.
Kohlestofffasern können sehr unterschiedliche physikalische Eigenschaften mit entsprechend unterschiedlicher Toxizität besitzen. Zu ihnen gehören die „Multi-“ und „Singlewalled“ Carbon Nanotubes, deren Länge im Mittel zwischen 5 und 20 μm beträgt, mit Durchmessern unterhalb von 100 Nanometern (1 Nanometer=10-9 m). Solche Fasern sind krebserzeugend im Tierexperiment. Fasern in CFK hingegen sind etwa 100-fach größer, haben einen Durchmesser von ca. 8 μm und können Längen von mehreren 100 μm erreichen. Solche Fasern können nicht in die tieferen Atemwege gelangen. Bei ihrer Bearbeitung können aber einatembare faserartige Bruchstücke entstehen, deren Toxizität bislang wenig untersucht wurde.
Biobeständige, einatembare Fasern stehen generell im Verdacht, krebserzeugend zu sein. Insbesondere dann, wenn sie die WHO-Faserkriterien erfüllen. Von WHO-Fasern wird gesprochen, wenn Fasern länger als 5 μm sind, einen Durchmesser unter 3 μm haben und das Verhältnis von Länge zu Breite größer als 3 zu 1 ist. Die Abschätzung des krebserzeugenden Potenzials biobeständiger einatembarer Fasern, beruht auf Analogieschlüssen zu humankanzerogenen Wirkungen von Asbestfasern, die aus einem hohen Anteil an WHO-Fasern bestehen (IARC 2002 und 2012). Zu den Stäuben und Fasern, die bei der Zerkleinerung von CFK entstehen, liegen nur wenige, großenteils ältere toxikologische Untersuchungen vor,die keine starke Toxizität zeigen, aber eine ausgeprägte Biobeständigkeit. Die meisten dieser älteren tierexperimentellen Studien sind jedoch mit erheblichen Mängeln behaftet.
Ziel dieses Forschungsvorhabens war es deshalb, einen grundlegenden toxikologischen Wissensstand über die Zerkleinerung von CFK und die dabei entstehenden Bruchstücke zu erreichen. Ein Schwerpunkt lag auf dem Arbeits- und Gesundheitsschutz, ein zweiter auf der optimalen Maschinen- und Prozessgestaltung des Zerkleinerungsprozesses.
Das Vorhaben wurde durch die „Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) der Arbeitsgemeinschaft Industrielle Forschung“ (AiF-IGF) als Kooperation der Kunststofftechnik Paderborn (KTP) an der Universität Paderborn und des IPA gefördert. Die Faseranalytik erfolgte am Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH.
Mechanische Aufbereitung der Kunststoffe
Um die Parameter einzugrenzen, die die Staubfreisetzung beeinflussen, wurden am KTP Vorversuche im Labormaßstab durchgeführt. Es wurden sogenannte Organobleche verwendet. Je 50 g der Organobleche wurden zunächst grob zerkleinert und dann mit unterschiedlicher Drehzahl von 800–2500 U/min geschnitten. Das Mahlgut wurde gesiebt, die Matrix der Fraktion unter 0,125 mm zu Asche erhitzt und die Fasern mit einem Scanner analysiert.
Unter realen Bedingungen erfolgte dann im Technikum einer Herstellerfirma die Zerkleinerung von Organoblechen mithilfe eines Vierwellenzerkleinerers sowie eines Einwellenzerkleinerers und die Analyse der luftgetragenen Partikel. Die Rotationsgeschwindigkeit wurde hier von 60 U/min bis 120 U/min und die Siebgröße von 10 mm bis 20 mm variiert. Partikel im Nanometerbereich von 9 bis 414 nm wurden vom IPA mit einem „Scanning Mobility Particle Sizer“ gemessen und solche im Mikrometerbereich (0,5–20 μm) mit einem „Aerodynamic Particle Sizer“. Die einatembare Staubfraktion (E-Staub) wurde mit einem VC25-Probenahmegerät auf Goldfiltern gesammelt und die Fasermasse ausgewogen. Fasern richten sich beim Ansaugen des Luftstroms längs aus. Da sie sich so wie wesentlich kleinere Partikel verhalten, würden auf dem Filter als E-Staub auch sehr lange Fasern abgeschieden. Das würde zu einer Überschätzung der einatembaren Staubmenge führen.
Die Zählung der WHO-Fasern in den Staubproben wurde am Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH durchgeführt. Dazu erfolgte eine elektronenmikroskopische Analyse nach der VDI Richtlinie 3492, der auf mit Gold bedampften Filtern gesammelten Stäube.
Toxikologische Untersuchungen
Die Einwanderung oder auch Migration von Entzündungszellen in die Lunge ist ein verlässlicher toxikologischer Endpunkt für akut entzündliche Partikelwirkungen (Westphal et al. 2015). Dies kann durch eine sogenannte bronchoalveoläre Lavage (BAL) gemessen werden. Hierbei werden die Bronchien und Lungen gespült, dies ist aufwendig und belastend. Entsprechend werden In-vitro-Tests benötigt, die die entzündlichen Wirkungen von Partikeln und Fasern darstellen. In diesem Forschungsprojekt wird daher der Partikel-induzierte Zellmigrationstest (PICMA) angewendet (Westphal et al. 2015 und 2019). Dabei werden NR8383-Rattenmakrophagen mit den Stäuben für 16 Stunden inkubiert und die Überstände für den Migrationstest gewonnen. Der Test weist die Wanderung von differenzierten HL-60 Zellen in Richtung der entzündlichen Signalstoffe nach (Westphal et al. 2015). HL-60 Zellen werden seit Jahrzehnten als zuverlässige Modellzelllinie für neutrophile Granulozyten eingesetzt.
Um die zelltoxischen Wirkungen der Partikel als indikative Messung zu bestimmen, wurde der AlmarBlue Test eingesetzt. Der Test misst die Energieladung der Zellen mit dem Fluoreszenzfarbstoff und Redoxindikator Resazurin. Eine Abnahme der Fluoreszenz zeigt Zelltoxizität an.
Analyse der entstehenden Fasern
Die Voruntersuchungen mit der Schneidmühle und die Versuche unter realen Bedingungen mit dem Vierwellenschredder führten zu vergleichbaren Ergebnissen. Es traten unter allen Bedingungen hohe Faserkonzentrationen auf, überwiegend solche, die nicht in die tiefen Atemwege gelangen (→ Tab. 1). Eine steigende Drehzahl führte in allen Untersuchungen zu einer Erhöhung der Faserkonzentration. Der Anteil relativ kurzer Fasern, die aufgrund ihrer Länge und ihres Durchmessers von 8 μm nicht in die tiefen Atemwege gelangen, war erhöht. Jedoch führte eine Erhöhung der Drehzahl nicht zu einer weiteren signifikanten Verkürzung der Fasern. Kürzere Fasern sind für die weitere Nutzung der Recyclingprodukte nachteilig.
Reduzierte man die Siebmaschenweite, führte dies ebenfalls zu einer erhöhten Faserkonzentration. Ein weiterer universeller Parameter ist das Bruchverhalten des Materials: Spröderes Matrixmaterial führt generell zu einer höheren Staubfreisetzung. Der Einfluss der Aufgabemenge ist hingegen materialspezifisch: Bei PA66-CF und bei PP-GF Organoblechen führte eine Verringerung der Aufgabegröße zu einer Zunahme an Faserstaub. Bei der Zerkleinerung von PA6-GF und PC-CF hingegen zeigte sich dieser Einfluss nicht. Die Verstärkungsart der Fasern sowie der Fasergehalt in dem Verbundwerkstoff beeinflussten ebenfalls die Staubentstehung: Tendenziell führte die Zerkleinerung von Verbundwerkstoffen mit hohem Faseranteil zu mehr Faserstaub und kürzeren Fasern.
Einatembare Faserstäube
Neben hohen Gesamt-Faserkonzentrationen entstanden unter allen Bedingungen auch Fasern, die die WHO-Faserkriterien erfüllen und in die tiefen Atemwege gelangen können. Während die Gesamt-Faserstaubkonzentration von den genannten Parametern beeinflusst wurde, blieb aber der Anteil an WHO-Fasern unter allen Bedingungen ähnlich (Tab. 1).
Niedrige Rotationsgeschwindigkeit und große Siebgröße | Hohe Rotationsgeschwindigkeit und große Siebgröße | Hohe Rotationsgeschwindigkeit und kleine Siebgröße | |
Fasern / m3 | 7.100.000 | 7.500.000 | 15.500.000 |
Einatembare WHO-Fasern / m3 | 240.000 | 225.000 | 240.000 |
Die biologischen Studien zeigten keinen Einfluss der Zerkleinerungsparameter auf die Zelltoxizität und insbesondere nicht auf die Partikel-induzierte Wanderung von Entzündungszellen zur Reizquelle, die sogenannte Chemotaxis (→ Abb. 2). Auch der Anteil an potenziell toxischen WHO-Faserfragmenten wurde nicht von den Untersuchungsbedingungen beeinflusst (→ Tab. 1).
Zudem waren die chemotaktischen Wirkungen der CFK-Fasern auf die Zellwanderung gering im Vergleich zur Wirkung granulärer Partikel wie den als Positivkontrolle mitgeführten Silika-Nanopartikeln oder im Vergleich zu historischen Daten von Quarz, Asbestfasern und „Multiwalled Carbon Nanotubes“ (MWCNT) (→ Abb. 2) (Westphal et al. 2019). Die meisten dieser Faserbruchstücke sind wahrscheinlich zu dick, um eine nennenswerte Toxizität aufzuweisen (→ Abb. 1).
Bei der Zerkleinerung faserverstärkter Kunststoffe entstehen Faserbruchstücke, die nur ein geringes Ausmaß gezielter Zellwanderung bewirken. Dies deutet auf eine geringe, akut entzündliche Wirkung der entstehenden Stäube hin. Dies steht im Einklang mit älteren Ergebnissen aus Tierversuchen, die auch von einer eher geringen Toxizität berichten. Formal erfüllen die detektierten Kohlefaser-Bruchstücke jedoch die Faserdefinition des Gesetzgebers. Kohlefasern haben derzeit keinen spezifischen Grenzwert. Die Zerkleinerungsparameter beeinflussen weder den Anteil an WHO-Fasern noch die Toxizität der Stäube. Die Optimierung der Zerkleinerungsprozesse sollte sich daher auf die Menge der Partikel und deren Abmessungen konzentrieren: Die beim Zerkleinern entstehende Staubmenge kann durch eine niedrige Rotationsgeschwindigkeit der Mühle und eine große Siebgröße reduziert werden.
Beim Schneiden von kohlefaserverstärkten Kunststoffen und Materialien sollten besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, da von einer ausgeprägten Biobeständigkeit inhalierter CFK-Fragmente ausgegangen werden muss. Die Prävention richtet sich gemäß den Bestimmungen der TRGS 521 an einem Schutzmaßnahmenkonzept, das auf den Faserkonzentrationen von 50.000 und 250.000 F/m³ basiert.
Prof. Dr. Thomas Brüning
Prof. Dr. Jürgen Bünger
Dr. Christian Monsé
Nina Rosenkranz
PD Dr. Götz Westphal
IPA
Dr. Lisa Tölle
Bond-Laminates GmbH, Brilon
Dr. Matthias Hopp
Prof. Dr. Elmar Moritzer
Universität Paderborn, Kunststofftechnik Paderborn
(KTP), Lehrstuhl für Kunststofftechnologie
Prof. Dr. Dr. Dirk Walter
Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin
Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH
Die „World Health Organization“ (WHO) definiert Fasern als Partikel mit einem Verhältnis von Länge zu Breite von 3:1, mit einem Durchmesser von weniger als 3 μm und einer Länge von mindestens 5 μm. In der Europäischen Union werden Partikel als Fasern eingestuft, wenn sie mindestens 20 μm lang sind und maximal 3 μm Durchmesser haben. Diese Faserdefinitionen umfassen sehr viele Partikel höchst unterschiedlicher Toxizität.
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