IPA Journal 01/2024

IPA untersucht Gesundheitsschutz bei Arbeiten mit Diisocyanaten

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Nicht-invasive Messung des Stickstoffmonoxid-Gehalts in der Ausatemluft
Bild: Volker Wiciok

Längsschnittstudie hilft, Prävention bei beruflicher Diisocyanatexposition zu verbessern

Die Arbeit mit Diisocyanaten kann zu Atemwegs- und Lungenerkrankungen führen. Die 2020 geänderte REACH-Verordnung beschränkt den Umgang mit ihnen. Ihr zufolge müssen Betriebe, die Diisocyanate verarbeiten, seit August 2023 verbindlich ihre Beschäftigten schulen. In einem Projekt untersucht das IPA gemeinsam mit Kooperationspartnern die Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Zudem ermittelt es die branchenspezifischen Expositionen mit Blick auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden.

Diisocyanate in der Produktion unverzichtbar
Diisocyanate sind eine wichtige Substanzklasse für die Herstellung von Polyurethanen. Sie werden zum Beispiel bei der Herstellung von Weichschäumen für Matratzen oder von Hartschäumen als Dämmstoff zur Gebäudeisolierung genutzt. Weitere Anwendungsbereiche umfassen Spezialklebstoffe, Lacke oder Vergussmassen für die Elektroindustrie sowie Elastomere und Formteile, zum Beispiel für die Automobilindustrie. Generell gibt es zu der Verwendung von Diisocyanaten kaum Alternativen. „Es ist eine Substanz, die nicht einfach austauschbar ist. Ersatzstoffe gibt es kaum, zumindest keine, die eine gute Qualität und Stabilität des Endprodukts gewährleisten“, sagt Dr. Heiko Käfferlein, Leiter des Kompetenz-Zentrums Toxikologie des IPA. Er betreut gemeinsam mit Dr. Stefanie Kösling und einem Team um Nina Reichelt und Janette Nestler die Studie am IPA.

Erkrankungen infolge des beruflichen Umgangs mit Diisocyanaten können unter der Berufskrankheit Nr. 1315 „Erkrankungen durch Isocyanate“ anerkannt werden. „Die Problematik kennt man seit Jahrzehnten als allergische Atemwegserkrankung im Sinne einer Obstruktion beziehungsweise Verengung der Bronchien“, so Stefanie Kösling. Die Betroffenen können dann schwerer atmen. Die Lungenfunktion nimmt ab. „Wenn Arbeitnehmende mit einer solchen Allergie in den Arbeitsbereich mit Diisocyanaten kommen, können sich Probleme bei der Atmung ergeben“, sagt die Wissenschaftlerin. Zudem kann, wenn die Substanz auf die Haut gelangt, ein irritatives Kontaktekzem auftreten. Dieses äußert sich durch Rötungen und Hautreizungen. Generell müssen Unternehmen, in denen eine Exposition der Beschäftigten gegenüber Diisocyanaten besteht, Präventionsmaßnahmen treffen, die solche Erkrankungen verhindern. Da ein Ersetzen oder Weglassen von Diisocyanaten nicht möglich ist, müssen nach dem STOP-Prinzip technische, organisatorische oder persönliche Schutzmaßnahmen getroffen werden. Dazu gehören zum Beispiel Punktabsaugungen am Arbeitsplatz und ein Handschuhplan.

Verwendung von Diisocyanaten nur noch nach Schulung
Um Erkrankungen durch Diisocyanate noch besser zu vermeiden, wurde im August 2020 die REACH- (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals; zu Deutsch: Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien) Verordnung der Europäischen Union geändert. Zu den Neuerungen gehören Schulungsmaßnahmen von Beschäftigten. So dürfen Diisocyanat-haltige Produkte mit einem Gehalt von mehr als 0,1 Gewichtsprozent nur noch dann industriell und gewerblich genutzt werden, wenn die Mitarbeitenden im Vorfeld erfolgreich eine Schulung abgeschlossen haben. Seit August 2023 müssen die Maßnahmen verbindlich umgesetzt werden. Davor galt eine dreijährige Übergangsfrist.

Branchenverbände entwickeln Schulungsmaterialien

Für die Umsetzung der EU-Vorgaben wurden durch die Branchenverbände ISOPA (European Diisocyanate & Polyol Producers Association) und ALIPA (European Aliphatic Isocyanates Producer Association) Schulungsmaterialien sowie eine zugehörige Online-Plattform entwickelt. Bei der Erstellung der Schulungsunterlagen haben sie und ihre Mitgliedsunternehmen sich auf die Einbindung der gesamten Polyurethan-Wertschöpfungskette konzentriert. Zudem lag der Fokus auf der Bereitstellung einer benutzerfreundlichen Lösung unter Einhaltung hoher Qualitätsstandards. „ISOPA und ALIPA sind der Ansicht, dass Schulungen die wirksamste und effizienteste Maßnahme sind, um die Fallzahlen von berufsbedingtem Asthma in Zusammenhang mit Diisocyanaten weiter zu verringern“, so Jörg Palmersheim, Generalsekretär bei ISOPA. Mitarbeitende, die Diisocyanate verarbeiten, erhalten nun eine Basis-Schulung, die sich mit allgemeinen Sicherheitshinweisen zu Diisocyanaten beschäftigt. Um einen größtmöglichen Schutz der Beschäftigten gewährleisten zu können, sind die weiteren Module stark firmen- und tätigkeitsspezifisch. Die derzeit vorliegenden Schulungsmaterialien zu insgesamt 19 Tätigkeiten beziehungsweise Arbeitsbereichen werden kontinuierlich durch ISOPA/ALIPA aktualisiert und in verschiedenen Sprachen angeboten.

Interventionsstudie untersucht Erfolg von REACH-Schulungsmaßnahmen

Die am IPA durchgeführte „Studie zum Arbeits- und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten mit Diisocyanat-haltigen Materialien“ besteht aus zwei Teilen. Sie wird in Kooperation mit ISOPA/ALIPA, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), den Berufsgenossenschaften BG Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI), BG Holz und Metall, BG Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse, BG der Bauwirtschaft, BG Handel und Warenlogistik sowie dem Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) durchgeführt. Im Interventionsteil soll die Wirksamkeit der neu eingeführten EU-Schulungsmaßnahmen überprüft werden.

„Um die Wirksamkeit der Schulungen zum sicheren Umgang mit Diisocyanaten zu untersuchen, wurde eine cluster-randomisierte Interventionsstudie entwickelt und in die Kohortenstudie eingebettet“, so Dr. Claudia Drossard, Gruppenleiterin Toxikologie bei der BAuA. Cluster-randomisiert bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Vorgehen auf einer zufälligen Zuteilung der Betriebe in eine Interventionsgruppe (Schulungsgruppe) und eine Kontrollgruppe (Biomonitoring zeitlich vor der Schulung) basiert. „Mit diesem Studiendesign soll die Veränderung der Expositionswerte im Biomonitoring in Folge der Schulung untersucht werden“, so Drossard weiter.

Während der Befragungen von Studienteilnehmenden vor der Schulung fiel auf, dass sich die Beschäftigten gut mit den allgemeinen Schutzmaßnahmen wie dem Tragen von Atemschutz oder Handschuhen auskennen und diese korrekt anwenden. „Allerdings ist vielen nicht klar, mit welchen Diisocyanaten sie überhaupt umgehen und welche Gefährdungen dadurch möglicherweise entstehen“, sagt Nina Reichelt. Dies wird in den Schulungen besprochen, um die Beschäftigten noch besser für die möglichen Gesundheitsgefahren beim Umgang mit Diisocyanaten zu sensibilisieren.

 


Mobile Lungefunktionsmessung

Wiederholte Untersuchung aller Teilnehmenden
Die gesamte Studie ist auf fünf Jahre angelegt. Sie setzt sich aus dem vorgenannten Interventionsteil und einem Hauptteil zusammen. In letzterem geht es um die Ermittlung branchenspezifischer Expositionen und das Auftreten obstruktiver Atemwegserkrankungen. Erste Fallzahlabschätzungen auf Basis bereits publizierter Daten im Vorfeld der dtudie ergaben, dass eine Kollektivgröße von 300 bis 400 exponierten Beschäftigten ausreicht, um über diesen Zeitraum Veränderungen in der Lungenfunktion sicher nachweisen zu können. In einer vorgelagerten Machbarkeitsstudie konnte das IPA bereits erfolgreich Studienbetriebe mit ca. 1.300 potenziellen Studienteilnehmenden rekrutieren. Diese werden derzeit schrittweise über die kommenden fünf Jahre einmal jährlich untersucht. Dazu finden im ersten und letzten Jahr auch Untersuchungen vor Ort in den Betrieben statt. In den Zwischenjahren werden die Teilnehmenden telefonisch befragt. Die Untersuchungen umfassen:

  • Fragebögen zur Gesundheit und den
  • Expositionsumständen am Arbeitsplatz
  • Luftmonitoring (äußere Exposition)
  • Biomonitoring (innere Exposition)
  • Atopie-Screen
  • Gesamt-IgE und Diisocyanat-spezifische
  • IgE/IgG-Antikörper
  • Kleines Blutbild
  • Stickstoffmonoxidgehalt in der Ausatemluft (FeNO)
  • Lungenfunktionsmessung (Spirometrie)
  • Provokationstest mit Methacholin
  • Fotodokumentation der Hände

Breites Bündnis unterstützt die Studie Die Studie wird von ISOPA/ALIPA, der BAuA wie auch den genannten Unfallversicherungsträgern gefördert und mit entsprechenden Ressourcen vor Ort in den Betrieben begleitet. Die Kooperationspartner waren von Beginn an in die Konzeption der Studie eingebunden und werden die wissenschaftliche Auswertung der Ergebnisse begleiten. So unterstützte die BAuA insbesondere bei der Etablierung des Studiendesigns. Das beinhaltete auch die Einbindung der Interventionsstudie. „Eine wissenschaftliche Begleitung der Umsetzung der REACH-Beschränkung in den Betrieben vor Ort hält die BAuA für wichtig“, so Drossard. „Sie ist notwendig, um die Exposition gegenüber Diisocyanaten und das Erkrankungsgeschehen beim beruflichen Umgang mit dieser Stoffgruppe unter den neuen Beschränkungsmaßnahmen erfassen zu können. Nur aus einer guten, aktuellen Datenlage können Erkenntnisse gewonnen werden, die in einen verbesserten Arbeitsschutz einfließen können - von der Ebene der Politikberatung auf EU-Ebene bis hin zu Maßnahmen im Betrieb“. „Schon seit die BAuA in Deutschland 2013 den Beschränkungsprozess initiiert hat, bestand seitens ISOPA/ALIPA die Absicht, die Beschränkung mit einer Kohortenstudie zu begleiten“, ergänzt Palmersheim.

„Wir unterstützen die Studie, weil immer noch berufsbedingte Erkrankungen im Zusammenhang mit Diisocyanaten auftreten. Dies wollen wir durch eine verbesserte Unterstützung und Beratung der Betriebe verhindern. Dazu hoffen wir, aus den Studienergebnissen die entsprechenden Erkenntnisse zu gewinnen“, sagt Dr. Thomas Martin vom Gefahrstoffinformationssystem Chemikalien der BG RCI. Zudem sei für seine BG auch wichtig zu untersuchen, wie Mechanismen der Krankheitsbilder Allergie von Atemwegen und Haut zusammenhängen. „Dadurch erhoffen wir uns einen Erkenntnisgewinn über Diisocyanate hinaus auch für andere allergieauslösende Substanzen“ so Martin. Die BG RCI und weitere Unfallversicherungsträger fördern die Studie auch mit ihren Messtechnischen Diensten. Das IFA unterstützt insbesondere im Bereich des Luftmonitorings.

Untersuchungen im Interventionsteil der Studie abgeschlossen
Im März 2023 ist die Studie zusammen mit allen Beteiligten in die Feldphase gestartet. Bereits im Dezember desselben Jahres konnten die Basis-Untersuchungen im Rahmen der Interventionsstudie erfolgreich abgeschlossen werden. Für diese wurden ca. 250 Beschäftigte in 17 Betrieben untersucht. Weitere Besuche finden nun in den Firmen statt, die im Rahmen der Studie an den regulären Untersuchungen teilnehmen, dann jedoch ohne zusätzliche Schulungsmaßnahmen durch das Studienteam. „Priorität hat nun die weitere Feldarbeit und damit in erster Linie die qualitätsgesicherte Generierung, Sicherung und Bereinigung der erhobenen Daten“, ist es Heiko Käfferlein wichtig zu betonen. „Wenn wir am Ende insgesamt von etwa 500 bis 600 Beschäftigten einen vollständigen Datensatz zur Auswertung hätten, wäre das ein großartiger Erfolg“.


Kontakt

Autorin
Nina Bürger

Fachliche Ansprechpersonen
Dr. Heiko Käfferlein
Dr. Stefanie Kösling
IPA

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