IPA Journal 01/2024

BGHM und IPA: Gemeinsame Förderung der Ausbildung des arbeits- und betriebsmedizinischen Nachwuchses

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Christian Heck, Hauptgeschäftsführer der BGHM

Interview mit dem Hauptgeschäftsführer Christian Heck und Dr. Claudia Clarenbach, Leiterin des Sachgebiets Arbeitsmedizin der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM)

Der Fachkräftemangel macht sich auch bei der arbeits- und betriebsmedizinischen Versorgung der Beschäftigten in Betrieben und Bildungseinrichtungen bemerkbar. Seit vielen Jahren wird hier Nachwuchs gesucht. Um den Ärztinnen und Ärzten eine qualitativ hochwertige Weiterbildung zu bieten, kooperiert die BGHM mit dem IPA.

Herr Heck, vor einigen Jahren hat die BGHM mit dem IPA eine Kooperation zur Weiterbildung von Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern vereinbart.Was waren die Beweggründe?
Heck: Mit der Überarbeitung der DGUV-Vorschrift 2 (s. Info-Kasten) rückte das Thema Arbeitsmedizin bei der BGHM stärker in den Fokus. Uns war schnell klar, dass wir zumindest regional einen Mangel an Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern haben. Nicht zuletzt gehört die Unterstützung bei der arbeitsmedizinischen Betreuung auch zu einer der zehn Präventionsleistungen der Unfallversicherungsträger. Die BGHM hat die Notwendigkeit gesehen, aktiv zu werden, um einen Beitrag zur Verbesserung der Situation zu leisten. Unterstützt wurden wir dabei sehr stark durch die Selbstverwaltung – sowohl von Seiten der Arbeitgeber als auch der Versicherten. Gemeinsam mit Frau Dr. Clarenbach haben wir dann die formellen Voraussetzungen für den Einstieg in die Weiterbildung geschaffen.

Clarenbach: Bereits 2017 haben wir erste Überlegungen angestellt, wie wir die Facharztausbildung bei der BGHM gestalten können. Nach Rücksprache mit der Ärztekammer war schnell klar: Wir brauchen einen Kooperationspartner, der die klinische Arbeitsmedizin abdeckt. Denn wir als Unfallversicherungsträger haben zwar viele Weiterbildungsmöglichkeiten in der betrieblichen Praxis und Betriebsbetreuung, aber es fehlt die klinisch-praktische Arbeitsmedizin. Mit dem IPA haben wir dann den idealen Partner gefunden. Die hier vorhandenen Möglichkeiten für die arbeitsmedizinische Diagnostik und die praxisnahe Forschung gewährleisten, dass die Weiterbildung auf Basis des aktuellen Wissensstandes erfolgt.

Frau Clarenbach, wie gestaltet sich die praktische Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen im IPA konkret?
Clarenbach: Hauptziel der Zusammenarbeit mit dem IPA ist der Erwerb von wissenschaftlich fundierten Kenntnissen der klinischen Arbeitsmedizin und Diagnostik. Die Weiterbildungsassistenten und -assistentinnen der BGHM arbeiten jeweils für ein halbes Jahr im IPA. Eingesetzt werden sie primär im klinischen Bereich, erhalten aber auch Einblick in die Forschung aller Kompetenz-Zentren des IPA. In den sechs Monaten sind sie von den Aufgaben bei der BGHM freigestellt. Das IPA vermittelt umfangreiche Kenntnisse: Angefangen bei der kardiologischen und pulmologischen Leistungsdiagnostik, Hör- und Sehtests, dermatologisch-allergologische Techniken, HNO-Untersuchungstechniken bis hin zur Durchführung von Feldforschung in Betrieben. Zusätzlich erhalten die Weiterzubildenden Einblick in die Epidemiologie, die Toxikologie, die Allergologie und die umweltmedizinische Diagnostik. Die angehenden Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner erfahren, wie Fragen aus der Praxis auch in Form von Forschungsprojekten bearbeitet werden. Spannend wird das Ganze durch die Verknüpfung von gutachterlich aktuellen arbeitsmedizinischen Fragestellungen und der Diagnostik im IPA.
Durch gemeinsame Weiterbildungsgespräche bleiben wir in engem Kontakt. Inhaltlich sind die sechs Monate Weiterbildung mit dem Curriculum der Ärztekammer Nordrhein abgestimmt. Die verbleibenden 30 Monate der insgesamt 36 Monate dauernden Weiterbildung werden dann von der BGHM gestaltet. Im Gegenzug haben Kolleginnen und Kollegen aus dem IPA die Möglichkeit, bei der BGHM an Fortbildungs- und Fachveranstaltungen teilzunehmen, sowie die Präventionsmitarbeiter bei Betriebsbesichtigungen zu begleiten.

Herr Heck, können Sie sich vorstellen, dass dieses Modell auch interessant für andere Unfallversicherungsträger sein könnte?
Heck: Die Arbeitsmedizin ist ein wesentlicher Bestandteil des Handelns der gesetzlichen Unfallversicherung. Das gilt für alle Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Jedoch muss man deren unterschiedliche Möglichkeiten berücksichtigen. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass dies auch für andere Träger ein sehr interessantes Modell ist. Eine qualitativ hochwertige Ausbildung kann auf jeden Fall dazu beitragen, dem derzeitigen Mangel an Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern entgegenzuwirken. Aber über eines müssen wir uns dabei im Klaren sein, vollständig beheben werden wir ihn damit nicht.

Welches Feedback haben Sie bislang bekommen?
Clarenbach: Während der Corona-Pandemie hatte eine Kollegin den sechsmonatigen Weiterbildungsabschnitt am IPA absolviert. Das waren natürlich erschwerte Bedingungen. Trotzdem liefen im IPA die Diagnostik und klinische Arbeitsmedizin weiter. Hierdurch ergab sich die Möglichkeit, hochaktuelle wissenschaftliche Projekte zu begleiten. Dazu gehörten die IPA-Maskenstudie und die SARS-CoV-2-Antikörperstudie. Die Themen Impfen, Infektionsschutz und Pandemieplanung rückten ebenfalls in den Fokus. Die Kollegin berichtete, dass sie sehr gut in das Team vor Ort aufgenommen und integriert wurde. Besonders positiv bewertet wurde die persönliche Betreuung durch die arbeitsmedizinischen Kolleginnen und Kollegen. Ebenso wie die Einarbeitung in die arbeitsmedizinische Begutachtung. Zwischenzeitlich hat die Kollegin ihre Facharztprüfung erfolgreich bestanden. Eine weitere Kollegin hat im Februar 2024 am IPA mit dem klinischen Teil der Weiterbildung begonnen.

Am IPA finden in Zusammenarbeit mit der Fortbildungsakademie der Ärztekammer Westfalen-Lippe zudem die drei theoretischen Weiterbildungskurse statt. Wie lassen sich diese in den Arbeitsalltag integrieren?
Clarenbach: Die Kurse der Ärztekammer sind ein wichtiger Bestandteil in der arbeitsmedizinischen Weiterbildung. Ohne sie gibt es keine Zulassung zur Prüfung und Kursplätze sind heiß begehrt. Damit die drei Weiterbildungsblöcke gut in die restlichen Weiterbildungsabschnitte passen, bedarf es einer genauen Planung. Was den Weiterbildungsassistenten sehr entgegen kommt, ist der modulare Aufbau. Denn so können die Blöcke A, B und C bei verschiedenen Ärztekammern absolviert werden. Egal wo die Blöcke absolviert werden, hat man zum Schluss die notwendigen Inhalte in Summe erlernt. Da die Kurse unter anderem auch am IPA angeboten werden, besteht für die Kolleginnen und Kollegen der BGHM natürlich auch die Möglichkeit, hier teilzunehmen.
Positiv ist, dass seit der Corona-Pandemie die Kurse auch hybrid angeboten werden. Neben Präsenzphasen, die für die Vernetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wichtig sind, gibt es elbstorganisierte Lernphasen. Letztere haben den Vorteil, dass man sich die Zeit selbst einteilen kann.


Dr. Claudia Clarenbach, Leiterin des Sachgebiets Arbeitsmedizin der BGHM

Am IPA werden die Kollegen und Kolleginnen der BGHM während ihrer Weiterbildung auch in wissenschaftliche Projekte einbezogen. Wie beurteilen Sie diese Erfahrungen im Hinblick auf die spätere Tätigkeit in der Praxis?
Heck: Das halte ich für sehr wichtig. Bei den Unfallversicherungsträgern ergeben sich viele komplexe Fragestellungen. Sie betreffen sowohl die Bereiche Berufskrankheiten und Zusammenhangsbeurteilung als auch den der Prävention. Vielfach können sie nur durch Forschung beantwortet werden.
Die BGHM initiiert und begleitet in der Praxis regelmäßig wissenschaftliche Projekte am IPA, weil sich häufig nur so die Fragestellungen unserer Mitgliedsbetriebe beantworten lassen. Da ist es dann gut, wenn man die Seite der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die solche Projekte durchführen, kennengelernt hat. Mit dem IPA haben wir im Hinblick auf medizinisch-wissenschaftliche Forschungsfragen sicherlich unseren bedeutendsten Partner. Gerade im Bereich der Arbeitsmedizin fördert und fordert die BGHM Forschungsprojekte. Das IPA, mit seiner Expertise in den Bereichen Atemwegserkrankungen, der Berufsdermatologie, der Früherkennung von Krebserkrankungen und Berufskrankheiten und jetzt auch mit der neu hinzugekommenen HNO-Fachdisziplin, ist sehr breit aufgestellt. Der andere Forschungsschwerpunkt bei der BGHM betrifft dann eher die Arbeitssicherheit. Hier geht es um technische Forschungsprojekte. In diesem Bereich haben wir selbst ein sehr großes Knowhow, weil viele Kolleginnen und Kollegen entweder bereits während ihrer universitären Ausbildung oder danach in ihrem Beruf an Forschungsprojekten beteiligt sind.
Ein gutes Beispiel für übergreifende Fragestellungen ist das Thema Lärm. Hier hat die BGHM eine interne Lärmkampagne gestartet. Bei ihr kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das IPA mit seinem HNO-Bereich gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) uns dabei tatkräftig unterstützt.

Clarenbach: Durch die unmittelbare Verknüpfung konkreter Fragestellungen aus Betrieben und der Expertise des IPA resultieren zeitnah konkrete Handlungsempfehlungen für den rbeitsschutz inklusive der Arbeitsmedizin. Weiterhin tragen die Erkenntnisse aus der Forschung zur Fortschreibung der arbeitsschutzrechtlichen Regelwerke bei. Diese unmittelbare Verknüpfung von Theorie und Praxis ist sehr wertvoll für das Verständnis komplexer Zusammenhänge. Die Beratung von Arbeitsschutzakteuren, Aufsichtspersonen sowie Betriebsärztinnen und Betriebsärzten erhält durch die zukünftigen Arbeitsmediziner und Arbeitsmedizinerinnen auf Grundlage der erworbenen Kenntnisse einen besonderen Stellenwert.

Vor Ort ist eine gute Zusammenarbeit zwischen den am betrieblichen Gesundheitsmanagement beteiligten Professionen entscheidend für den Erfolg. Auch im IPA wird diese Kooperation gelebt. Welche Rolle sollte die Arbeitsmedizin dabei spielen?
Clarenbach: Im Betrieb kommen unterschiedliche Akteure aus Technik, Medizin und Gesundheitsförderung zusammen. Gemeinsames Ziel ist es immer, eine optimale Lösung für den Betroffenen und die Sicherheit und Gesundheit zu finden. Hierfür braucht man umfassende Kenntnisse. Dies fängt beim Vorschriften- und Regelwerk an, geht über ein fundiertes medizinisches Fachwissen bis hin zu psychologischen Aspekten. Am IPA hat man die verschiedenen Expertisen und kann gemeinsam im Team Lösungen erarbeiten. Davon profitieren auch unsere eiterbildungsassistenten. Am Ende Ihrer Ausbildung verfügen sie über Hintergrundwissen aus dem Regelwerk und aus der Forschung. Ergänzt werden diese durch die Kenntnis der Arbeitsplätze vor Ort. Das sind die Voraussetzungen, um eine hohe Akzeptanz in den Betrieben zu erreichen und bei der Beratung der Geschäftsführung.

Heck: Worauf kommt es denn am Ende an, wenn der Arbeitsmediziner im Betrieb ist? Die Beratung zu rein medizinischen Aspekten wird in der Regel schnell und gut greifen. Gefragt ist aber vor allem auch die Kommunikationsfähigkeit im Unternehmen im Hinblick auf die Prävention. Denn eine gute Beratung hat für diese am Arbeitsplatz enorme Vorteile: Sie kann dazu beitragen, berufsbedingte Krankheiten zu verhindern, Therapiekosten zu senken und hilft mit, dass Versicherte ein Leben lang gesund arbeiten können. Wobei die Herausforderung an Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner in einem Großunternehmen sicherlich ganz andere sind als dies in einem kleineren Handwerksbetrieb der Fall ist. Auf beides müssen sie aber vorbereitet werden und das gelingt meiner Meinung ganz prima mit unserer Kooperation.

Wie sehen Sie insgesamt die Rolle von Arbeitsmedizinern und Arbeitsmedizinerinnen bei den Unfallversicherungsträgern?
Clarenbach: Die Rolle ist sehr vielschichtig. Aufgrund der umfassenden Ausbildung können sie in fast allen Bereichen und Präventionsfeldern der Unfallversicherung einen Beitrag leisten. Ich sehe da vor allem eine Schnittstellenfunktion in der Kommunikation zwischen der Prävention und Rehabilitation. Interdisziplinarität in den verschiedenen Arbeitsgebieten ist essenziell. Das haben wir vor allem in der Corona-Pandemie gesehen. Hier hat die Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsfachkräften und weiteren Akteuren im Arbeitsschutz sehr gut funktioniert. Während der Pandemie war die Arbeitsmedizin sehr gefragt.

Heck: Die Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner bei uns in der BGHM sind absolute Spezialisten, von denen wir nicht so viele haben. Deshalb müssen wir uns immer die Frage tellen, wo wir sie am effektivsten arbeitsmedizinische Themen schwerpunktmäßig besetzt werden müssen. Dies ist vor allem an Schnittstellen mit Bezug zur Arbeitsmedizin der Fall, die es in nahezu jedem Bereich eines Unfallversicherungsträgers gibt. Neben den bereits erwähnten Bereichen Rehabilitation, Prävention und Forschung werden sie natürlich auch bei der Betreuung des eigenen Personals eingesetzt. Einen Punkt, den wir hier noch gar nicht besprochen haben, ist die wichtige beratende Funktion der Arbeitsmedizin für die Politik. Insbesondere gilt dies für die Mitarbeit in den verschiedenen Arbeitsschutz-Gremien wie zum Beispiel in Arbeitskreisen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Hier möchten wir uns als Unfallversicherungsträger an den aktuellen Diskussionen und an Lösung von Problemen beteiligen, indem wir fachlich hochwertiges Knowhow zum Beispiel durch unsere Arbeitsmediziner und Arbeitsmedizinerinnen einbringen.

Wie sieht aus Sicht der BGHM die bisherige Bilanz der Kooperation mit dem IPA aus?
Heck: Die Bilanz fällt durchweg positiv aus und wir führen sie gerne fort. Deshalb haben wir den Kooperationsvertrag Ende 2023 verlängert. Das IPA ist in der Gesamtausbildung für uns ein wichtiger Partner. Von besonderer Bedeutung für uns ist die Vermittlung der Expertise, die auf Grundlage des aktuellen Wissensstands und mit engem Bezug zu Forschungsaspekten erfolgt. Außerdem werden hier arbeitsmedizinische Aspekte mit einem klaren Bezug zur betrieblichen Praxis der BGHM vermittelt, insbesondere im Hinblick auf die Prävention.

Clarenbach: Was unsere Kooperation in der Weiterbildung so wertvoll macht, ist die Kombination aus der medizinisch-wissenschaftlichen Arbeit des IPA und den Einblicken, die man bei einer Berufsgenossenschaft in die Praxis der Betriebe erhält. Es ist komplett ganzheitlich. Ich erhalte viele interessierte Nachfragen von anderen Unfallversicherungsträgern zu unserer Kooperation.

Das Interview führten Prof. Dr. Thomas Brüning und Dr. Monika Zaghow


Info: DGUV Vorschrift 2 – Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit

Die DGUV Vorschrift 2 ist eine für Berufsgenossenschaften und Unfallkassen einheitliche und gleichlautende Vorgabe zur Konkretisierung des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG). Die Vorschrift definiert die Pflichten von Unternehmerinnen und Unternehmern zur betrieblichen Betreuung durch Betriebsärztinnen und -ärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit.