Der Klimawandel stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Er wirft auch die Frage auf, wie Arbeit in Zukunft klimaneutral, nachhaltig, fair und sicher gestaltet werden kann. Einfache Antworten gibt es nicht. Aber das Konzept der Nachhaltigkeit bietet einen Schlüssel. Im Gespräch mit DGUV Kompakt erklärt Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der DGUV, wie Klimaschutz, nachhaltiges Handeln und Arbeitsschutz zusammenwirken.
Herr Dr. Hussy, angesichts der Flutkatastrophen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen fragen sich viele Menschen, welche Auswirkungen der Klimawandel auf unser Leben und unsere Arbeit haben wird. Sind für die Unfallversicherungsträger schon Effekte spürbar?
Ja, wir sehen Auswirkungen. Seit Jahren nimmt zum Beispiel die Zahl der Hautkrebserkrankungen durch UV-Strahlung zu. Betroffen sind sogenannte Outdoor-Worker – Beschäftigte in der Landwirtschaft, auf Baustellen, auf See oder in der Abfallwirtschaft. Auch die Arbeit und Belastung von Rettungskräften verändern sich massiv, wenn Starkregen, Überschwemmungen oder Brände zunehmen. Der Klimawandel beeinflusst Arbeitsinhalte aber auch die psychische Belastung. Wir müssen mit geeigneter Prävention reagieren.
Um den Klimawandel einzudämmen wird nachhaltiges Handeln gefordert. Inwiefern betrifft Nachhaltigkeit die gesetzliche Unfallversicherung?
Beim Thema Nachhaltigkeit geht es ja nicht nur um Ökologie, sondern auch um ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Unsere Kernanliegen sind Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Wir versuchen, Unfälle und Krankheiten zu verhindern, setzen uns für Inklusion ein und begleiten verunfallte Menschen zurück in das Arbeitsleben. Das sind in jedem Fall Themen der sozialen Nachhaltigkeit. Aber das Thema wirkt auch nach innen. Wir müssen uns fragen: Wie nutzen wir Ressourcen? Wie viel Energie verbrauchen wir? Wie renovieren wir Gebäude oder wieviel Müll produzieren wir? Hier wollen wir uns als Spitzenverband zukunftsorientiert aufstellen. Innerhalb der DGUV verpflichten wir uns daher, die Prinzipien ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit in unsere Prozesse zu integrieren.
Aber natürlich steigt auch der Beratungsbedarf der Unternehmen und Bildungseinrichtungen zu nachhaltiger Beschaffung, Energieersparnis, Digitalisierung oder dem Umgang mit Subunternehmen. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Eine zentrale Rolle dabei haben die Aufsichtspersonen, die in den Betrieben vor Ort beraten. Sie werden in Zukunft häufiger mit diesen Themen konfrontiert sein und brauchen entsprechendes Fachwissen.
Wie können Unternehmen am besten für Nachhaltigkeit sensibilisiert werden?
Besonders gefordert in den Veränderungsprozessen sind Führungskräfte. Sie erproben neue Kommunikationsformen in ihren Teams und sind Vorbild im Umgang mit dem Wandel, dessen Schnelligkeit manchen zu überfordern droht. Uns war und ist es deshalb wichtig, sowohl Beschäftigten als auch Führungspersonen fachliche und praktische Unterstützung anzubieten. Jeder Betrieb, der das Gütesiegel „Sicher mit System“ erwirbt oder ein zertifiziertes Managementsystem für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit einführt, fördert damit auch die Nachhaltigkeit. Denn das wirkt sich positiv auf das Wohlergehen der Beschäftigten und die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens aus. Viele Betriebe haben diesen Weg bereits eingeschlagen, hier wollen wir uns weiter engagieren.
Die Vereinten Nationen beschreiben in ihrer Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung 17 Ziele. Inwieweit orientieren Sie sich daran?
Viele der Ziele stehen direkt oder indirekt mit unseren Themen in Verbindung: Prävention, Rehabilitation, Bildung, Forschung, Zertifizierung. Daran sieht man: Wir tragen eine besondere gesellschaftliche Verantwortung. Mit jeder neuen Entwicklung bemühen wir uns, vorausschauende, passende Lösungen für sichere und gesunde Arbeit zu finden und umzusetzen. Um mögliche Gefährdungen möglichst früh zu erkennen, beobachten wir Trends und prüfen deren Chancen und Risiken und entwickeln geeignete Maßnahmen, die den Unternehmen die Bewältigung des Wandels erleichtern. Auch das ist ein Mittel, um unsere Arbeit auf eine nachhaltige Zukunft auszurichten.
Durch das Lieferkettengesetz und die europäische CSR-Richtlinie müssen große Unternehmen ihr Handeln in sozialen und ökologischen Fragen dokumentieren. Kann die gesetzliche Unfallversicherung auch außerhalb Deutschlands auf sichere und gesunde Arbeit einwirken?
Wir begrüßen das neue Lieferkettengesetz. Sichere Lieferketten sind ein Ausdruck von Wertschätzung für Menschen an allen Punkten der Wertschöpfungskette. Bedrückend finde ich, dass erst das schwere Unglück in Rana Plaza die Aufmerksamkeit auf die schlechten Arbeitsbedingungen einer international agierenden Branche gelenkt hat. Daher bin ich froh, dass die DGUV mit Ländern wie Bangladesch im Austausch steht. Mehrfach waren Delegationen aus der Textilindustrie Bangladeschs bei uns zu Gast. Das Wissen, wie Arbeit sicher und gesund gestaltet werden kann, tragen sie nun in ihre Heimat und setzen dort entsprechende Maßnahmen um.
Aber mit dem Thema Lieferketten ist noch eine ganz andere Herausforderung für die gesetzliche Unfallversicherung verbunden: Ein Großteil der Persönlichen Schutzausrüstung am Markt wird in Asien gefertigt. Wissen wir genug über die Arbeitsbedingungen in der Fertigung und die ökologischen Kosten? Um diese Fragen müssen wir uns noch stärker kümmern. Und zugleich zeigt sich anhand der Lieferketten: Nachhaltigkeit basiert auf gemeinsamen Werten und Prozessen, die die Zukunft mitdenken. Wir müssen verschiedene Bereiche stärker zusammen denken: Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft. Isoliertes Handeln bringt uns nicht weiter.