Im Interview mit Gabriele Pappai, Geschäftsführerin der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen

Porträt von Gabriele Pappai

Im Gespräch mit Gabriele Pappai: "Ich bin überzeugt, dass Prävention gelingt, wenn wir zukünftige Herausforderungen in den Blick nehmen."
Bild: Frauke Schumann Fotografie

"Sicherheits- und Gesundheitskompetenz von klein auf entwickeln"

Rund 18 Millionen Heranwachsende versichert die gesetzliche Schülerunfallversicherung beim Lernen und Spielen. In Kitas, Schulen und Hochschulen werden sie für Fragen der Sicherheit und Gesundheit sensibilisiert. Das Erlernte tragen sie als zukünftige Arbeitnehmende in die Unternehmen weiter. Anlässlich des 50. Jubiläums der Schülerunfallversicherung sprach DGUV Kompakt mit Gabriele Pappai, Geschäftsführerin der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen, über aktuelle Präventionsmaßnahmen und zukünftige Herausforderungen.

Frau Pappai, auf einen Unfall im Sportunterricht folgte die Einführung der Schülerunfallversicherung im Jahre 1971. Wo liegen heute die typischen Unfallschwerpunkte?

Unfälle passieren, wenn Kinder sich bewegen. Das war vor 50 Jahren so und wird wohl immer so bleiben. Deswegen ist der Sportunterricht nach wie vor ein Schwerpunkt unserer Präventionsarbeit. Allem voran kommt es dort bei Ballsportarten häufig zu Verletzungen. Leider beklagen wir zudem viele schwere Unfälle auf dem Schulweg – vor allem mit dem Fahrrad.

Wie kann die Unfallkasse bei einem Unfall helfen?

Hier zeigt sich die Stärke der gesetzlichen Unfallversicherung: Wir begleiten unsere Versicherten Schritt für Schritt zurück in ihren Alltag. Dabei ist es wichtig, dass die Behandlung auf die verletzten Kinder zugeschnitten ist und aus einer Hand erfolgt. Wir stellen auch besondere Anforderungen an unsere Partner im Gesundheitswesen. Denn die Heilung von Kindern verläuft anders als bei Erwachsenen und man muss auch ihren sozialen oder schulischen Kontext einbeziehen.

Das klingt nach einem langen Prozess.

Ja, in manchen Fällen sind wir für unsere Versicherten sogar über die Reha hinaus da. Bis sie wieder aktiv am Schulalltag und an ihrem sozialen Leben teilhaben können. Das kann bei Kindern manchmal eine jahrelange, in schweren Fällen sogar lebenslange, Zusammenarbeit bedeuten.

Gesund und sicher lernen und spielen – dafür braucht es wirksame Konzepte der Prävention. Wie haben die sich in den letzten Jahren verändert?

In den Anfangsjahren der Schülerunfallversicherung fokussierte man sich zunächst auf bauliche Gefahren, sei es die Verhinderung von Abstürzen oder die korrekte Installation von Fluchttüren. Das ist natürlich nach wie vor wichtig. Aber heute stehen wir Schulträgern bereits bei der Bauplanung zur Seite. Somit fließen in das Gebäude neben dem pädagogischen Konzept von Anfang an auch Belange von Sicherheit und Gesundheit ein – der Kinder und des Personals.

Besonders in Schulen lohnt sich zudem ein ganzheitlicher Blick auf das System Schule, um gute Lern- und Arbeitsbedingungen und in Folge gute Lernergebnisse zu schaffen. Wir motivieren die Bildungseinrichtungen, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz als Voraussetzung und Ressource für erfolgreiches Lernen einzubeziehen. Gelingt uns das, ist das unheimlich viel Wert.

Warum?

Die Kinder und Jugendlichen von heute gestalten die Arbeitswelt von morgen. Wir erreichen sie durch unser Wirken in einer prägenden Lebensphase. Dort können wir den Grundstein legen für eine sichere und gesunde Arbeitswelt. Unser Ziel ist es, dass sie Sicherheits- und Gesundheitskompetenz von klein auf entwickeln. Denn wenn wir frühzeitig ein gesundes und sicheres Verhalten im Bewusstsein der Heranwachsenden verankern können, werden sie es ganz selbstverständlich in ihre spätere Arbeitswelt weitertragen.

Wo setzt die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen aktuell ihre Schwerpunkte bei der Prävention?

Wir verfolgen das Konzept der „Guten gesunden Schule“ und das bewährt sich schon seit über zehn Jahren. Es regt an, Bildung und schulische Gesundheitsförderung stärker miteinander zu verzahnen. Daneben setzen wir auf Mobilitätserziehung und Bewegungsförderung.

Was heißt das konkret?

Wir machen uns als gesetzliche Unfallversicherung für den Ausbau sicherer Infrastrukturen in den Städten stark. Zudem wollen wir die Fahrkompetenz junger Fahrradfahrerinnen und -fahrer stärken. Das ist mir auch ein persönliches Anliegen. Ich begrüße es ausdrücklich, wenn der Schulweg autonom mit eigener Muskelkraft zurückgelegt wird, statt beispielsweise mit dem Elterntaxi. Ich sehe darin eine gute Möglichkeit, dem wachsenden Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken.

Die Unfallkassen sind auch zuständig für Sicherheit und Gesundheit in den Bildungseinrichtungen. Welche Unterstützung bieten sie in der Pandemie?

In Abstimmung mit dem NRW-Ministerium für Schule und Bildung geben wir den Lehrkräften Handlungsempfehlungen – sei es für den Schulbetrieb oder den Unterricht zu Hause. Wir haben zudem alles darangesetzt, unserem Qualifizierungsauftrag so schnell wie möglich wieder nachzukommen. Mit angepassten Hygiene- und Schutzkonzepten standen wir ab August 2020 den Lehrkräften wieder zur Seite. Wir beraten sie zum Thema richtiges Lüften, zu Hygieneplänen, dem Tragen von Masken oder anderen pandemiebedingten Themen wie dem Versicherungsschutz beim Sportunterricht auf Distanz.

Welche Themen muss die Schülerunfallversicherung zukünftig stärker berücksichtigen?

Wir müssen den ganzheitlichen Blick auf das System Schule weiterverfolgen. Das heißt, Schulleitungen darin zu bestärken und zu befähigen, Sicherheit und Gesundheit in den Schulalltag zu integrieren. Denn gesunde Lernumgebungen ziehen gute Lernergebnisse nach sich. Wir werden unsere Präventionskonzepte auch noch stärker an Erkenntnissen der Forschung ausrichten. Das heißt zum Beispiel, die Unfallstatistiken stärker zu differenzieren, neue Themen zu benennen und passende Maßnahmen zu entwickeln.

Ich bin überzeugt, dass Prävention gelingt, wenn wir zukünftige Herausforderungen in den Blick nehmen. Da darf man auch vor sensiblen Themen nicht zurückschrecken. Wir werden verstärkt auf die psychische Belastung eingehen. Aber auch das gemeinsame Lernen von Kindern mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen und Interkulturalität müssen stärker in den Fokus rücken.

www.schuelerunfallversicherung.de