Interview mit Carsten Grawunder

Carsten Grawunder ist 57 Jahre alt und parteiloser Bürgermeister in Drensteinfurt im Münsterland.

Herr Grawunder, als gewählter Bürgermeister bekleiden Sie ein politisches Amt. Was hat Sie dazu bewegt?

Als ich mich entschlossen habe, auf Vorschlag von zwei örtlichen Parteien, bei der Kommunalwahl 2014 als Bürgermeisterkandidat anzutreten, war ich hochmotiviert, die Zukunft der Stadt Drensteinfurt aktiv mitzugestalten und vor allem auch für ein respektvolles und zugewandtes Miteinander einzutreten.

Werden Sie für Ihre Tätigkeit auch angefeindet?

Kritik gehört bei diesem Amt dazu. Sie können es in dieser Funktion nicht allen Menschen recht machen. Sofern die Kritik konstruktiv ist, kann man im Zuge der Debatten gut damit umgehen. Unsachliche Kritik bis hin zu Anfeindungen sind wie Sand im Getriebe. Sie kosten Kraft und Nerven, bringen uns aber keinen Millimeter nach vorne.

Haben Sie persönlich bereits schwere Gewalt erlebt?

Schwere Gewalt habe ich zum Glück noch nicht erlebt und bisher ist auch noch nichts Schlimmes passiert. Allerdings gab es zwei Vorfälle am privaten Pkw, bei denen es zu schwerwiegenden Unfallfolgen hätte kommen können. Einmal lag eine Holzlatte mit Nägeln nach oben vor unserer Einfahrt, in die jemand hätte reintreten können oder die die Reifen bei der Überfahrt beschädigt hätten. Das andere Mal war ein Reifen so angestochen, dass er nicht sofort die Luft verloren hat, sondern vermutlich eher bei längerer Fahrt und höherer Geschwindigkeit geplatzt wäre. Nicht auszumalen, was daraus hätte entstehen können noch dazu, wo unser Privat-Pkw überwiegend von der Familie und gar nicht von mir genutzt wird.

Eine persönlich sehr unerfreuliche Situation habe ich vor einigen Jahren beim Einkaufen bei unserem heimischen Metzger erlebt. Zu der Zeit stand in unserer Gemeinde der Bau einer größeren Unterkunft für geflüchtete Menschen zur Diskussion. Beim Einkaufen fürs Wochenende sprach mich dann ein Mann mittleren Alters, den ich persönlich nicht kannte, mit den folgenden Worten von der Seite an: "Das haben Sie nicht wirklich vor, oder?" Auf meine Frage, was er denn meinen würde, bekam ich als Antwort "Das mit dem Flüchtlingsheim..." Ich habe daraufhin erwidert, dass dies sehr wohl eine Option sei, die ich prüfen wolle. Im Weggehen sagte die Person dann "Dann können Sie sich auf etwas gefasst machen." Ich bin von Haus aus eher kein ängstlicher Typ, aber über eine solche Äußerung denkt man doch noch eine Weile nach. Im Ergebnis konnten wir das Heim nicht bauen, weil wir die Flächen nicht bekommen haben.

Im Rahmen der Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen hört man immer wieder davon, dass Kandidatinnen und Kandidaten beleidigt, beschimpft oder angegriffen werden, Ebenso Parteimitglieder beim Plakatieren von Wahlplakaten. Wie erklären Sie sich diesen Hass, der sich ja meist gar nicht gegen die konkreten Personen richtet, sie aber trotzdem massiv und persönlich trifft?

Es scheint leider so zu sein, dass das Vertrauen der Menschen in staatliche Institutionen seit einigen Jahren zurückgeht. Gerade der Öffentliche Dienst war über lange Zeit stabil anerkannt in seiner Leistungsfähigkeit und ein Garant für das Funktionieren von Staat und Gesellschaft. Nach meinem Empfinden hat die Corona-Pandemie einen erheblichen Anteil an diesem Vertrauensverlust. Denn es waren natürlich staatliche Institutionen, die die ganzen negativ empfundenen Einschränkungen verhängt, kontrolliert und am Ende auch durchgesetzt haben. Aber bei aller vermutlich auch berechtigten Kritik haben es die Behörden dennoch geschafft, die Funktionsfähigkeit der meisten wichtigen Institutionen aufrecht zu halten. Unser aller Leben hat sich durch die Pandemie in vielen Bereichen verändert. Die Ressourcen werden knapper, die zeitweise sehr hohe Inflation hat vielen Menschen zugesetzt und auch die Energiemangellage nach dem Überfall von Russland auf die Ukraine hat bis heute erhebliche Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche. Vieles von dem, was früher selbstverständlich (da) war, gibt es in der vertrauten Form nicht mehr. Durch all dies entsteht bei vielen Menschen Frust, wofür ich absolutes Verständnis habe. Bei manchen Menschen äußert sich dieser Frust aber leider in Form von Gewalt gegen Personen oder Gegenstände. Kandidatinnen und Kandidaten für politische Ämter wie auch die etablierten Parteien müssen dabei zunehmend als Projektionsfläche herhalten, weil sie natürlich als Repräsentant dieses Staates gesehen und für all dies verantwortlich gemacht werden.

Ist Gewalt in Ihrer Stadtverwaltung ein Thema oder ggf. in bestimmten Bereichen? Wie wird dies thematisiert?

Wir haben seit Jahren leider immer häufiger mal mit Bürgern zu tun, die mit den Leistungen oder auch den versagten Leistungen unserer Verwaltung so unzufrieden und verärgert sind, dass sie verbal ausfallend werden. Mitarbeitende und auch Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr sind schon beleidigt und bedroht worden.

Derartige Vorkommnisse werden von mir als Behördenleiter konsequent zur Anzeige gebracht; intern werden diese Dinge im Team aufbereitet. Die Intensität hängt maßgeblich davon ab, wie stark die betroffenen Beschäftigten sich auch tatsächlich „betroffen“ fühlen. Wenn gewünscht, wird auch psychologische Hilfe angeboten.

Präventiv versuchen wir nach und nach die Arbeitsbereiche mit regelmäßigem Publikumsverkehr so umzugestalten, dass die Beschäftigten die Möglichkeit erhalten, sich in einer Bedrohungslage rückwärtig zu entfernen. In den allermeisten Fällen stehen die Personen, von denen Gefahren ausgehen könnten, ja zwischen den Beschäftigten und der Tür.

Zusätzlich bieten wir seit ca. zwei Jahren auch gezielte Deeskalationstrainings für unsere Beschäftigten an, um diese mental auf mögliche Konfliktsituationen vorzubereiten und ihnen möglichst viel Handlungssicherheit zu vermitteln.

Mit welchen Maßnahmen versuchen Sie für ein besseres und wertschätzendes Miteinander zwischen Mitarbeitenden und Kunden zu sorgen und so Gewalt zu verhindern?

Diese Frage ist zum Teil schon zuvor beantwortet. Es gibt aber auch noch das Miteinander zwischen den im Rat und den Ausschüssen kommunalpolitisch ehrenamtlich Tätigen und "der Verwaltung". Hierbei gilt es, ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass auch in diesem Kontext Spielregeln eingehalten werden. Es ist auch Aufgabe der Rats- und Ausschussmitglieder, Prozesse und Arbeitsergebnisse kritisch zu betrachten und auch zu bewerten. Dies findet in einer offenen Demokratie selbstverständlich regelmäßig auch öffentlich statt. Dazuzugehören scheint aber zunehmend auch, dass der Bürgermeister ein besonders dickes Fell haben muss. Denn Im Ergebnis ist Kritik manchmal sehr unsachlich oder auch rein politisch.

Es darf jedoch auch nicht verkannt werden, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit der Stadt, mit der Verwaltung und damit natürlich auch ein Stück weit mit dem Bürgermeister identifizieren, Kritik an diesem auch als Kritik an ihrer Arbeit empfinden.

Wir haben dieses Phänomen im letzten Jahr in einem Gespräch mit den Fraktionsspitzen und dem Verwaltungsvorstand einmal ausführlich thematisiert und uns darauf verständigt, dass wir grundsätzlich auf einer sachlichen Ebene miteinander arbeiten wollen. Das gelingt seither überwiegend, aber leider auch nicht vollständig.

Denken Sie, dass sich aufgrund von Beleidigungen, Drohungen und Hass-Kommentaren heutzutage weniger Menschen politisch engagieren?

Davon gehe ich tatsächlich aus. Die Aufgabe, politische Verantwortung für andere Menschen oder eine Stadt zu übernehmen, wird in den kommenden Jahren noch anspruchsvoller, weil die Herausforderungen weiterwachsen, die zur Verfügung stehenden Ressourcen jedoch weiter abnehmen werden.

Bei mir persönlich hat es viele Aspekte in der Abwägung gegeben, ob ich mich noch ein drittes Mal zur Wahl stelle. Der Entscheidungsprozess hat Monate gedauert. Der persönliche Umgang mit mir als Bürgermeister hat dabei auch eine Rolle gespielt mit dem Ergebnis, dass ich das zukünftig nicht mehr so erleben möchte.

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin im Amt?

Meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger im Amt wünsche ich Respekt und Rückhalt in den drei maßgeblichen Terrains, die zu „bespielen“ sind. Das ist beim Bürgermeisteramt neben der Aufgabe des Behördenleiters der Verwaltung zum einen die Bürgerschaft mit vielen öffentlichen und repräsentativen Aufgaben sowie natürlich der Gemeinderat mit seinen Ausschüssen, "die Politik", wie man gerne auch mal sagt. Bei mir ist über die Jahre der politische Rückhalt immer weniger geworden. Als parteiunabhängiger Bürgermeister ist man auf der einen Seite sehr frei, auf der anderen Seite fehlt aber auch ganz maßgeblich der Rückhalt. Dennoch halte ich die parteiliche Unabhängigkeit gerade bei Bürgermeistern kleinerer und mittlerer Städte nach wie vor für ideal. Man ist direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt und hat in erster Linie deren Interessen und nicht die der Parteien zu vertreten.

Darüber hinaus wünsche ich ihm oder ihr neben der Freude an diesem herausfordernden Amt Geschick, eine verständnisvolle Familie sowie einen duldsamen Freundeskreis.

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